Mittwoch, Juni 27, 2007

Was ist uns Johannes der Täufer?

1.
Vier in ihrer Art einzige Persönlichkeiten eröffnen die vier Evangelien und damit den Neuen Bund: Christus, der Hochheilige, seine Mutter Maria, die Unbefleckte, sein Pflegevater Joseph, der heiligste der Patriarchen, und Johannes, sein Vorläufer, der größte der Propheten. Maria war der himmelnahe Sinai, auf dem sich, vom Schatten Josephs umgeben, Gottes Eingeborner zu uns herabließ; Johannes der Moses des Evangeliums, der uns den in der Wüste dieses Lebens Erschienenen zuerst gezeigt und verkündigt hat als "das Lamm und den Beherrscher der Erde" (Is. 16,1.). - "Dieser trat zum Zeugnis auf, damit er Zeugnis von dem Lichte (der Welt) gebe, auf daß alle durch ihn glauben möchten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte Zeugnis von dem Lichte geben" (Joh. 1,6-8.): das ist die Mission und Aufgabe, das Amt und Privilegium, die Ehre und Glorie des Johannes. Maria hat uns das "ewige Licht" (Präfation) geboren, Joseph behütet, Johannes gepredigt. In dem Sinne wie Joseph der leibliche, war Johannes als Prophet der geistige Vater Christi, dessen Privatleben leitet Joseph, sein öffentliches Leben Johannes ein. Der "Sohn Josephs", wem galt er mehr als ein Mensch, als ein Zimmermann (Mark. 6,3.)? Der von Johannes Gepredigte, Getaufte, Verehrte, konnte er weniger sein als Gott, als der Messias und Heiland der Welt?
Es gibt viele Ämter, die dem Menschen in dem göttlichen Plane der Menschwerdung des Wortes und der Erlösung des Menschengeschlechtes anvertraut sind. Diese Ämter, verschieden in ihrer Form, haben alle denselben Ursprung, dasselbe Ziel: die Verherrlichung Gottes durch seinen eingebornen Sohn. Das dem heiligen Johannes anvertraute Amt ist nur ihm allein eigen, wie Maria, die Gottesmutter, für sich allein gleichsam eine eigene Welt und Joseph nur denkbar ist neben ihr und ihrem göttlichen Sohne, so ist Johannes der Diener Gottes und seiner Vorsehung in einer Ordnung der Dinge, die man nicht zum zweitenmal schauen wird. Vorläufer, Täufer und Christuszeuge zu sein, das war das erhabene Amt, der besondere, ganz ausnahmsweise dastehende Auftrag des Johannes; er hat ihn erfüllt in der Zeit, doch in seiner Eigenschaft als Zeuge Christi wirkt er noch heute aus der Ewigkeit gegen alle, die dem Gottmenschen zu nahe treten.
Es hat in der Menschheit von Anfang an gewisse auserwählte, ganz besonders privilegierte Menschen gegeben, die weniger fast als auf dem gewöhnlichen Wege der Natur, als vielmehr auf dem außergewöhnlichen Wege der Gnade in die Welt gekommen sind, bestimmt zu irgend einem hohen Ziel und Amt, in Ermangelung dessen ihr Kommen in die Welt unwahrscheinlich genannt werden müßte, so jedenfalls alle jene, die ihren Eltern nach jahrzehntelangem Warten gegen alle Hoffnung noch geschenkt worden sind. Wäre Isaak z. B. ohne die Bestimmung, das von Gott gewollte Geschlecht Abrahams zu begründen, in dem alle Völker gesegnet werden sollten, wohl auf die Welt gekommen? Und Samson, der Bezwinger der Feinde Israels? Und Samuel, der Konsekrator des ersten Königs in Israel und Davids? Hätte Gott seinen Sohn nicht auf die Erde herniedergesandt, "gebildet aus einem Weibe" (Gal. 4,4.) - wäre dieses hehre Weib, die unbefleckte Jungfrau geboren worden? Sicher nicht; denn im Anfang und vor aller Zeit ward sie in der Idee Gottes erschaffen, auserwählt und vorherbestimmt, und dann geschaffen in der Fülle der Zeit und mit Gnaden überhäuft, um Gottesmutter zu werden.

2.
Derselbe Grundsatz muß von Johannes gelten; denn so spricht Gabriel zu Zacharias: "Elisabeth wird dir einen Sohn schenken, den sollst du Johannes nennen. Er wird groß sein vor dem Herrn, er wird vor ihm hergehen im Geiste und in der Kraft des Elias, um dem Herrn ein vollkommenes Volk zu bereiten." Nur in Hinsicht auf Christi bevorstehende Menschwerdung läßt Gott dem Priester Zacharias gegen alle Hoffnung einen Sohn, Johannes, ankündigen. Allerdings lag es in Gottes Macht, Christum auch ohne Josephs Schatten in die Welt einzuführen und ohne Johannis Zeugnis sein Messiasamt beginnen zu lassen, aber die Weisheit Gottes, die mächtig zu wirken vermag, ordnet anderseits alles lieblich an (Weish. 8,1.) und schickte dem Bringer der Gnade den Prediger der Buße voraus, dem sanftmütigen Könige der Herzen den gewaltigen Donnerer der Wüste, der Taufe mit dem heiligen Geiste die Wassertaufe, dem Messias einen Elias, ja den größten Propheten, dem Unterjocher der Welt einen Pfadbereiter, dem Heiligsten einen Heiligen, dem Hohenpriester des Neuen Bundes einen hebräischen Priestersohn, der Sonne den Morgenstern, dem Worte die Stimme.
Der Gnadensonne war eine lange Dämmerung allgemeiner Erwartung vorangegangen - Figuren und Bilder, Verheißungen und Prophezeiungen, Ahnungen und sehnsuchtsvolle Hoffnung, "durch eine lange Reihe von Jahren und Zeiten hindurch", sagt Augustinus, "mußte Christus vorhergekündigt werden, denn es war nichts Geringfügiges, was man erwartete". Da lag es in der von Gott gewollten Harmonie der Menschwerdung seines von Ewigkeit her erzeugten Eingeborenen, daß eine feierliche Morgenröte, ein ganz besonderer Morgenstern den nunmehr nahenden Gottestag anzeigte, und er sandte den Johannes, bei dessen Verkündigung zum erstenmal "der Heilige Geist" (Luk. 1,15.) genannt ward.
Sterne genug hatte Gott in der langen Nacht von Adam bis Christus aufgehen lassen "und ein Stern war vom andern verschieden an Klarheit" (1. Kor. 15,41.) - Henoch, Noe, Abraham, Moses, Elias, Isaias - "sein Geist schmückte den Himmel aus"; dann verbarg er in seinen Händen das Licht, und dann wieder gebot er ihm, wiederum zu scheinen. Nunmehr aber befahl er dem Morgen und rief die Morgenröte und führte den Morgenstern hervor zu seiner Zeit, in der Fülle der Zeit, und es jauchzten alle Kinder Gottes (Job. 26,13; 36,32; 38,7. 32.). Die früher Gekommenen waren Diener im großen Hause Gottes, zu dem einem ward gesagt: Geh! und der ging, zu dem andern: Komm her! und er kam; zu dem Dritten: Tu das! und er tat es. Denn der Herr sandte zu seinem Volke alle seine Diener, die Propheten, vom frühen Morgen an sandte er sie aus dahin und dorthin (Jer. 7,25.)
Nun aber spricht er, der da kommt: "Siehe, ich sende meinen Engel, daß er den Weg bereite vor mir her (Mal. 3,1.), denn ein großer König bin ich, spricht der Herr der Heerscharen." (Mal. 1,14.) Die andern sind Propheten in Israel - Johannes ist der Prophet, der Vorläufer Christi, welchem Gott den Geist nicht nach dem Maße, sondern in vollster Fülle gegeben hat (Joh. 3,34.). Dazu ist er gekommen, um ihn offenbar zu machen (Joh. 1,31.), ihm zu Zeugen, ihm zum Wegbereiter; dazu war er - wie sein Herr selber - geboren und in die Welt gekommen, daß er der Wahrheit Zeugnis gab (Joh. 1,7.). Diese Wahrheit aber, die Wahrheit ist Christus und Johannes heißt nicht mit Unrecht "Praecentor veritatis" = Der Anstimmer und Vorsänger der Wahrheit. Im ewigen Konzerte Gottes auf Erden singen nicht alle mit gleicher Stimme, ruhig klingt die Stimme der Patriarchen, lauter sprechen die Propheten, wie Donner kommt es aus dem Munde der Apostel; deutlich hören wir die Gotteslehrer, unterschiedlich die Heiligen und die Stimmen der einzelnen Gläubigen fallen mit ein und wiederholen andächtig, was sie erlauscht - aber der Erste im Chore ist Johannes, "die Stimme des Herrn in der Kraft." (Ps. 28,4.)

Freitag, Juni 22, 2007

Der Gott-Mensch Jesus Christus - (4)

Jesus ist aber auch wahrer Mensch; denn der Sohn Gottes hat die menschliche Natur, d. h. einen menschlichen Leib und eine menschliche Seele angenommen und ist in allem uns gleich geworden, außer in der Sünde.

Daß Unser Herr Jesus von Nazareth auch wahrer Mensch ist, lehrt die Heilige Schrift im allgemeinen, indem der Heiland sich selbst wiederholt "Menschensohn" nennt, und seine menschliche Abstammung von Abraham, David, Maria, seine Geburt, sein Leben und sein Tod so beschrieben werden, wie das nur von einem der wahrhaft Mensch ist, geschehen kann. Schon Johannes hatte ihn angekündigt, nicht als eine Scheinfigur, sondern als einen Mann, der aber Gottes Sohn ist.
Aber auch im besondern, indem sie dem Herrn Jesus die Bestandteile der menschlichen Natur d. h. den Körper und leibliche Zustände, und die menschliche Seele mit den ihr eigentümlichen Kräften beilegt.
Das ist uns fast mehr ein Trost, schreibt ein edler Sohn des heiligen Dominikus so richtig (P. Weiß, Apol. I. 18. Vortrag.), daß wir an Christus einen Hohenpriester haben, der mit unsern Schwachheiten Mitleid tragen kann, da er selber gleich uns in allen Dingen versucht wurde (Hebr. 4,15.), als daß wir an seine Gottheit glauben. Das muntert uns auf, daß er in allem ein Beispiel gegeben hat, wie wir leben sollen und können (St. Aug. Serm. 75,2.). Deshalb hat er die menschliche Natur angenommen, damit wir auf sein Beispiel der Heiligkeit und Religiosität wie auf ein schönes Gemälde hinblicken und daraus Bewunderung und Begeisterung zur Nachahmung schöpfen (St. Bas. Const. mon. 1,1; Laktant. Inst. 4,26, 26.). Darum wird er zum Gericht geradeso wiederkommen, wie er zum Himmel gegangen ist, als Mensch (Apostelg. 1,11, St. Thom. 3. q. 59, a. 2.), um alle Entschuldigung unmöglich zu machen. Wenn also irgend eine Wahrheit für das Leben von Bedeutung ist, so muß es die von der wahren Menschheit Jesu Christi sein.
Er ist nicht bloß ein neuer und dennoch ein wahrer, sondern auch im vollsten Sinne des Wortes ein ganzer Mensch. Kein echt menschlicher Zug fehlt in diesem Leben, keiner tritt störend aus dem Rahmen des Ganzen heraus. In vollendeter Harmonie, ohne Mangel, ohne Übermaß, ohne Mißton, steht sein Charakter wie seine ganze Tätigkeit vor uns. Inneres und Äußeres stehen in Einklang wie nie bei einem Menschen. Darin erreicht ihn selbst der nicht, der sich nach seinem Beispiele bildet. Obwohl hoch über allem irdischen Treiben, ist er ferne von dem menschenverachtenden Stolze des Stoikers. Er lebt nicht in der Welt, er geht nicht mit der Welt, aber er stößt sie auch nicht von sich. Er flieht sie nicht, er sucht sie nicht, so wenig er sie fürchtet. Er braucht die Welt nicht, aber er läßt sich finden, ja er kommt ihr entgegen, ehe sie ihn sucht. In sich selber so selig, daß er die ganze Welt vergessen könnte, verfällt er gleichwohl nicht der selbstgenügsamen, menschenfeindlichen Abgeschlossenheit eines Diogenes. Ein Freund voll zärtlicher Liebe, schämt er sich nicht der Tränen des Schmerzes um den verstorbenen Freund; zu fröhlichem Mahl geladen erscheint er voll liebenswürdiger Heiterkeit. Auch an ihn wagt sich, gerade wie an den schwächsten der Menschen, der Versucher, und er weigert sich nicht, die Versuchung über sich ergehen zu lassen, um allen ein Beispiel im Kampfe zu werden. Die Todesfurcht mit ihrem Schrecken erschüttert auch ihn gleich jedem Sterblichen. Durch sein ganzes Leben zeigt er sich stets als vollkommenen Juden. Kein Zug ist an ihm von jenem vaterlandslosen Kosmopolitismus, der zu seiner Zeit Griechenland und Rom zu beherrschen begann. Er übt die strengen Gebräuche seines Volkes mit gewissenhafte Treue. Er wendet sich nur an die verlorenen Schafe des Hauses Israel. Er verbietet seinen Schülern, so lange er lebe, fremde Völker zu lehren (Matth. 10,6; 15,24.). Aber obwohl ein treuer Sohn seines Vaterlandes, geht er dennoch nicht in dessen engem Geist auf. Ganz in seinem Volke stehend und darum eine bestimmte, wenn der Ausdruck erlaubt ist, plastische Gestalt, ist er keineswegs ausschließlich national, sondern universal. Volkstümlich in seinem Volk, ist er populär auf der ganzen Erde. Niemand außer ihm hat sich noch über den zerstörenden Einfluß der größten aller Mächte, der Zeit, erhaben gezeigt. Gewiß, kein schattenhafter, kein bloß in der Einbildung vorhandener, nur ein lebendiger, nur ein echter Mensch kann nach Jahrtausenden noch die Menschen ebenso entflammen wie durch das Wort seines Mundes, wie durch den überwältigenden Zauber seiner liebenswürdigen Gegenwart. Christus schied aus dieser Welt mit dem Bewußtsein, den ärmsten Fischern von Galiläa seinen eigenen Geist eingeflößt zu haben in dem Grade, daß sie fähig seien, die Welt umzugestalten, das was er grundgelegt hatte, zur Vollendung zu bringen. Er wußte, daß Jahrtausende seinen Einfluß nicht schwächen werden, und so ist es wirklich.
Das aber ist um so wunderbarer, als das Geheimnis seines Einflusses sich gerade an seine Person knüpft. Wir feiern die Worte der Denker, die Schöpfungen der Künstler, die Taten der Helden. Das entscheidende ist für uns ihr Wort und ihr Werk, ihre Person ist nicht damit verwachsen. Bei Christus allein bleibt unser Geist, bleibt unsere Liebe an der Person selber haften. Bei ihm allein ist das Wort und das Werk nichts ohne seine Person, und seine eigene Person ist seine Lehre. Wie viele kennen seine Stiftung, wie manche besitzen seine Wahrheit und doch ist sie in ihnen wie tot. Begreiflich auch: die Bedauernswürdigen haben sein Wort, ihn selber haben sie nicht. Wer aber ihn findet, der hat das Leben gefunden, auch wenn er unfähig wäre, ein Wort von ihm zu lesen. Ohne seine Person ist seine Lehre nichts und die Bibel ein unverständliches Buch. Haben wir aber ihn, so haben wir auch sein Wort und noch mehr als dies. Er ist sein Wort, denn er ist das Wort. Er ist mehr als seine Lehre, denn er ist das Leben. So steht er vor uns in einer Größe, die kein zweiter Mensch erreicht hat. Somit können wir ihn mit keiner Klasse von Menschen zusammenstellen. Über Völker und Zeiten, über jedes Alter und Geschlecht erhaben, läßt er sich ein ganzer Mensch nennen, aber in viel weiterem Sinn als die wenigen, die diesen Namen verdienen. Obwohl Fleisch von unserem Fleisch und Gebein von unserem Gebein, ist er allein das vollendete Urbild des Menschen, der einzige, dem wir keine menschliche Schwäche nachweisen können, der einzige, der alles, was wir vom Menschen an Vollkommenheit verlangen, im höchsten Maße aufweist, der wahre, der ganze Mensch, wie er sich selbst am besten nennt, der Menschensohn. Nicht einmal die eingefleischtesten Ungläubigen und verbissensten Rationalisten unterstehen sich, die außerordentliche moralische Größe unseres Herrn, erhaben über alle Menschen der vergangenen und künftigen Zeiten, abzuleugnen, indem sie - Strauß und sein Nachbeter Renan an der Spitze - Jesus, wenn auch widerwillig oder gönnerhaft, preisen als "einen unvergleichlichen Mann von kolossalen Verhältnissen, ein wunderbar erhabenes Genie, den Schöpfer der ewigen Weltreligion, den wahren Seelenfriedenbringer, den größten Tröster des Lebens, den Begründer der Gewissensrechte, das vollendete Modell, das von allen Leidenden in Ewigkeit studiert werden wird, um sich daran zu stärken und aufzurichten. Auch ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß ein Mensch, welcher Christus gleichkäme, auf Erden je noch erscheinen könne, unmöglich, daß er je, was auch die ungeahnte Zukunft bringen möge, von einem Menschen übertroffen werde."
Lessing und Kant haben behauptet, die historische Persönlichkeit Christi sei von geringem Belang. Auf die Lehre komme es allein an. Wer diese vorgetragen habe, das sei gleichgültig. In neuerer Zeit wird dieses Wort nahezu Mode. Was liegt daran, heißt es, ob wir auch den Glauben an die Gottheit Christi preisgeben, was liegt selbst an dem geschichtlichen Jesus? Genug für uns, daß uns niemand den unvergleichlichen Schatz von Weisheit raubt, den wir an seinem Worte haben.
Bei allen andern Lehrern wäre der eben ausgesprochene Satz richtig. Aber bei Christus gilt er nicht. Die Feinde des Glaubens wissen das recht wohl. Gerade darum scheiden sie so sorgfältig zwischen seiner Person und, wie sie sich selbst verratend sagen, dem bleibenden Kern seiner Lehre. An den Worten läßt sich auswählen, deuteln, ändern. So kann man ihrer ledig werden, ihnen wenigstens alles ausreißen, was sie vom Himmel an sich haben. Und darauf ist es abgesehen. Selbst das Werk Christi läßt sich auslegen nach eigenem Befinden, und aus seiner Stiftung kann man Stücke schneiden, wegwerfen oder behalten, wie es einem beliebt. Aber die Person muß man nehmen, wie sie ist. Sie läßt sich nicht zerlegen noch zersetzen. Christus ist etwas so Eigenartiges, so Großes, so Einheitliches und Vollkommenes, daß man, auch wenn man ganz von seinem übernatürlichen, göttlichen Charakter absieht, sagen muß, eine solche Vollendung der menschlichen Natur sei weder das Ergebnis der vorausgehenden noch überhaupt einer andern menschlichen Kultur.
Wie arm, wie unaussprechlich arm ist also der Mensch, der Christus nicht hat! Hat er Christus den Menschen nicht, so hat er auch Gott nicht. Denn einer allein ist Mittler zwischen Gott und dem Menschen, der Mensch Jesus Christus (Tim. 2,5.) Christus als Gott ist das Ziel, nach dem wir streben, Christus als Mensch der Weg, auf dem wir gehen (St. Aug. Serm. 123,3; In Joh. tr. 34,9.). Zu Christus kommst du nur durch Christus (St. Leo Serm. 66.), zur Gottheit nur durch seine Menschheit (St. Aug. Serm. 141,4.). Die Gottheit ist das Ziel, die Menschheit ist der Weg (St. Aug. In Joh. tr. 42,8.). Der Weg ist Christus in der Menschheit, das Ziel derselbe Christus nach seiner Gottheit (St. Thom. In Joh. 14; 1. 2, c.). - Soweit der von uns hochverehrte Apologet.

"Daraus erkennt man", lehrt der Apostel Johannes, "ob jemand aus dem Geiste Gottes, aus der Wahrheit spreche, wenn er bekennt, daß Jesus Christus (Gott) im Fleische gekommen sei", d. h. die menschliche Natur angenommen habe (1. Joh. 4,2.).
Mit diesen Worten hat die "Säule der Kirche"alle frechen Geisteszwerge und Christusbekämpfer samt all ihren "Studien" und "Versuchen" und "Beweisen" - die ebensoviele Gotteslästerungen waren - schon im voraus für immer zerschmettert und vernichtet. Was fechten uns da an der seifenblasige Redeschwall des "genialen" Strauß, die leichtfertigen Schlüsse und Behauptungen des "romantischen" Renan, die niederträchtigen Schilderungen und Vermutungen des "glaubenslosen" Schenkel, die Erbärmlichkeiten des obskuren Rotowitsch, die vier Christusse - der historische, poetische, theologische und lebendige - des spleenigen Briten F. Watson, der sentimentale "Unser Herr und Meister" des amerikanischen Rev. Young, der sich seiner nur halb bewußte Markus-Christus Bennets, der orientalische Fanatiker oder Ekstatiker, genannt Christus, des Glaubens-Wechslers O. Holtzmann? Und wen befriedigt der geistlose Furrersche Christus oder der auf seine Gottheit so ziemlich vergessende Schell-Christus?
Schließlich wenn da ein "Theologe" schreibt: "Durch den Vorstellungskreis von der Person Jesu zieht sich ein unauflöslicher Widerspruch hindurch, indem die persönliche Vereinigung zweier Wesenheiten, die an sich nichts miteinander gemein haben, sich vielmehr schlechthin widersprechen, nur vermöge eines alle Begriffe übersteigenden Wunders ermöglicht wird; ein undurchdringliches Geheimnis schwebt über dem Personenleben Jesu Christi, und daß er als "wahrer Mensch und wahrer Gott" unter den Menschen gelebt habe und über den Menschen gegenwärtig noch fortlebe, das ist eine Behauptung, welche die ernstesten Bedenken herausfordert" - so hören wir eben den autoritätslosen "Lügengeist" aus ihm reden, d. h. lästern.

Denn die menschliche Natur widerstrebt ihrem Wesen nach nicht einer Verknüpfung mit der göttlichen. Zwar hat sie ihre Schranken; daraus folgt aber nicht, daß die Gottheit, wenn sie sich mit ihr verbindete, in die gleichen Schranken müsse eingezwängt werden, indem sie ja überall ist. Deswegen, weil die Gottheit sich mit einem Körper vereinigt, verläßt sie andere Orte nicht. Sie weilt noch überall, obschon die mit ihr verknüpfte Menschheit nicht überall ist; sie leidet so wenig eine Veränderung an sich, so wenig wir uns verändern, wenn wir ein Kleid anziehen, das wir noch nie getragen.
Wunderbar und unmöglich ist nicht ein und dasselbe. Wunderbar nennen wir, was wir schwer begreifen, unmöglich aber, was einen Widerspruch in sich enthält: dieses streitet gegen die Vernunft, ersteres übersteigt bloß unser beschränktes Fassungsvermögen. Die Glaubensgeheimnisse nun gehören unter die wunderbaren, nicht unter die unmöglichen Dinge; begreifen kann man sie nicht, aber wohl glauben; erklären nicht, aber doch einigermaßen erläutern und erwägen. So auch Christi Menschwerdung und dieVerbindung der göttlichen Natur mit der menschlichen in seiner anbetungswürdigen Persönlichkeit.

"Denn daß der Sohn Gottes", also der hl. Leo in seinen unvergleichlich erhabenen Predigten, "der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste nicht einer Person, sondern eines Wesens ist, sich gewürdigt hat, unserer Niedrigkeit teilhaftig zu werden - ein Leidensfähiger, ein Sterblicher: das ist so hochheilig erhaben, so wunderbar, daß es der Weltsinn nicht begreifen kann, wenn nicht das wahre Licht den Nebel irdischer Unwissenheit verscheucht. Denn nicht nur hinsichtlich des Tugendpfades, sondern auch hinsichtlich der Glaubensbahn steht geschrieben: Eng und steil ist der Weg, der zum Leben führt; und es erfordert nicht wenig Arbeit und nicht geringes Unterscheidungsvermögen, zwischen den zweifelhaften Meinungen der Ungelehrten und den als wahrscheinlich hingestellten Falschheiten der Böswilligen ohne Anstoß gerade und sicher hindurchzuwandeln. Solches vermögen wir nur im Geiste Gottes nach des Apostels Ausspruch. Wir haben den Geist, der aus Gott ist, empfangen, damit wir wissen und erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist. Göttlich ist demnach die Autorität, der wir glauben, göttlich ist die Lehre, der wir folgen.

Welches aber nun ist die Wahrheit, welches ist unser Glaube in betreff der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in der Person Jesu Christi? Hört, Geliebteste! Der Sohn, das Wort Gottes - selbst Gott - hat sich zur Annahme unserer Niedrigkeit ohne Erniedrigung seiner Majestät herabgelassen, blieb, was er gewesen, nahm an, was er nicht war, und verband eine wahre Knechtsgestalt mit der Gestalt, in der er Gott dem Vater gleich ist, auf so erhabene Weise, daß weder die Herrlichkeit der einen die niedrigere vernichtete, noch die angenommene Niedrigkeit die höhere beeinträchtigte. Indem also beide Wesenheiten die ihnen eigentümlichen Eigenschaften behielten und sich in einer Person zusammenfanden, verband sich die Majestät mit der Niedrigkeit, die Kraft mit der Schwäche, die Ewigkeit mit der Sterblichkeit. Es einten sich beide in einer Einheit und leiden keine Trennung und kennen kein Ende, indem der Erhöhende und der Erhöhte, der Verherrlichende und der Verherrlichte sich also ineinander fügten, daß, sei es in der Allmacht, sei es in der Schmach, das Göttliche in Christus nicht das Menschliche entbehrte, und das Menschliche in Christus nie ohne das Göttliche war. Damit unsere Schuld bezahlt werden könnte, vereinte sich die unverletztliche Natur mit der leidensfähigen, der wahre Gott mit dem wahren Menschen in der Person unseres lieben Heilandes, des Mittlers zwischen Gott und den Menschen; so konnte er einerseits sterben, auferstehen anderseits. Anders nämlich konnten wir nicht vom ewigen Tode errettet werden, als wenn derjenige demütig erschiene in unserer Natur, der allmächtig verblieb zugleich in seiner Gottesnatur. Ein einziges Rettungsmittel war möglich, wenn nämlich ein sündenloser Sohn Adams geboren würde, der seinen Mitmenschen durch Verdienst und Beispiel ein Heiland würde. Das erschien aber auf dem gewöhnlichen Wege menschlicher Zeugung unmöglich. Da ward der "Herr Davids" der "Sohn Davids", unser Herr Jesus Christus, - wahrer Gott zum Wunderwirken, wahrer Mensch zum Leiden- und Sterbenkönnen. Denn die vom Urvater vererbten Fesseln unserer Gefangenschaft vermochte nur ein Mann unseres Geschlechtes und unserer Natur zu lösen, der nichts von der Erbschuld abzutragen hatte, die wir nicht abzuzahlen vermochten.
Obschon nun aber von Anfang an, als das Wort Fleisch geworden, nichts von einer Trennung zwischen der göttlichen und menschlichen Substanz in Christus vorhanden war, vielmehr sein ganzes Leben hindurch alle seine Taten Taten einer Person gewesen sind, so haben wir uns dennoch in acht zu nehmen, eben diese seine Taten verständnislos durcheinander zu werfen; vielmehr müssen wir nachforschen, welcher Natur jede einzelne ist. Das aber fühlen wir sofort aus der Beschaffenheit der einzelnen Werke Christi deutlich heraus, indem das Göttliche nicht dem Menschlichen, das Menschliche nicht dem Göttlichen in Christus im Wege steht, beide in ihm vielmehr dergstalt zusammenfließen, daß jeder Natur ihr Eigentümliches verbleibt und doch Christi Person nicht verdoppelt wird. Als Gottessohn handelte er menschlich, als Menschensohn tat er Göttliches; denn er ist immer derselbe in einer Person: der ganze Menschensohn des angenommenen Fleisches wegen und der ganze Gottessohn wegen der Wesensgleichheit mit dem Vater." Soweit der heilige Leo.

In der Tat:
Als Mensch ist Er "der Sohn eines Weibes" - als Gott "wird Er der Schlange den Kopf zertreten."
Als Mensch ist Er "ein Mann aus Judä Stamm" - als Gott "harren auf Ihn die Völker."
Als Mensch ist Er "ein Kind, so uns geboren" - als Gott "wird Sein Name sein: Wunderbar, Gott."
Als Mensch nimmt Er Fleisch an - als Gott aus einer Jungfrau.
Als Mensch wird Er in einer Stallhöhle geboren - als Gott singen Ihm die Engel: Gloria.
Als Mensch wird Er beschnitten - als Gott heißt Er Jesus = Heiland der Menschen.
Als Mensch flüchtete Er vor Herodes - als Gott beten Ihn an die drei Weisen.
Als Mensch wird Er im Tempel dargestellt - als Gott begrüßen Ihn Simeon und Anna.
Als Mensch bleibt Er, zwölfjährig, im Tempel - als Gott staunen über Ihn die Schriftgelehrten.
Als Mensch schläft Er im Schifflein - als Gott stillt Er den Sturm.
Als Mensch wird Er zur Hochzeit geladen - als Gott verwandelt Er Wasser in Wein.
Als Mensch läßt Er Sich von Martha bedienen - als Gott vergibt Er der Magdalena.
Als Mensch hungert Er in der Wüste - als Gott dienen Ihm die Engel.
Als Mensch tritt Er ins Schifflein Petri - als Gott wandelt Er auf den Wellen.
Als Mensch bemitleidete Er die Elenden und Kranken - als Gott heilte Er sie.
Als Mensch besitzt Er eine Mutter und einen Vater - als Gott ist Er "eins mit dem Vater".
Als Mensch ließ Er sich taufen - als Gott öffnete sich der Himmel über Ihm.
Als Mensch fragte Er: Für wen haltet ihr Mich? - als Gott nannte Ihn Petrus: Christus, den Gottessohn.
Als Mensch führte Er die drei Apostel hinauf nach Tabor - als Gott ward Er vor ihnen verklärt.
Als Mensch liebkoste Er die Kindlein - als Gott legte Er ihnen segnend die Hände auf.
Als Mensch ritt Er weinend auf einem Esel nach Jerusalem - als Gott weissagte Er Jerusalems Untergang.
Als Mensch suchte Er Feigen am Baume - als Gott fluchte Er dem Fruchtlosen und er verdorrte.
Als Mensch nennt Ihn David "Sohn" - als Gott nennt er Ihn seinen "Herrn".
Als Mensch ließ Er Sich bis zum Abgrund zerren - als Gott ging Er "mitten durch sie hinweg".
Als Mensch aß Er das Osterlamm - als Gott hinterließ Er Sich Selbst im heiligsten Sakramente.
Als Mensch trauerte und zagte Er im Garten - als Gott sprach Er zu Gott: Mein Vater!
Als Mensch ließ Er Sich gefangen nehmen - als Gott warf Er die Häscher zu Boden.
Als Mensch stand Er gebunden vor Kaiphas - als Gott sagt Er diesem: "Ich bin Christus, Gottes Sohn!"
Als Mensch starb Er am Kreuzespfahl - als Gott bekennt Ihn schaudernd die ganze Natur.
Als Mensch wird Er begraben - als Gott ersteht Er triumphierend vom Tode.
Als Mensch ißt der Auferstandene mit den Jüngern - als Gott fährt Er in den Himmel empor.
Als Mensch wird Er vom Vater für Sein Messiasamt belohnt - als Gott sitzt Er mit dem Vater und Geiste auf ewigem Thron.

"Wenn nun aber jemand" - sagen wir mit dem hl. Konzil von Ephesus (trotz all dieser Beweise) "nicht bekennt, daß das Wort des Vaters persönlich vereinigt sei mit dem Fleische und daß es mit diesem Ein Christus, nämlich daß derselbe Christus Gott und Mensch zugleich ist, der sei im Banne!"
Johannes aber steht noch immer an der Türe zum Evangelium, in der künstlich geschaffenen Glaubenswüste, am reißenden Flusse dieses Lebens, der im Toten Meere endet und ruft: "Sehet, das Lamm Gottes!" Dieser Mann, der nach mir kommt, ist vor mir gewesen und ist mächtiger als ich, und ich habe bezeugt, daß er der Sohn Gottes ist. Wer seine Aussage annimmt, bekräftigt Gottes Wahrhaftigkeit und hat das ewige Leben, wer ihm aber nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn bleibt auf ihm (Joh. 1; 3.)".

Aus: Johannes. Der Vorläufer des Herrn nach Bibel, Geschichte und Tradition dargestellt von Dr. Nik. Heim. - Mit kirchlicher Druckgenehmigung. - Regensburg 1908, Verlag von J. Habbel.

Donnerstag, Juni 21, 2007

Der Gott-Mensch Jesus Christus - (3)

In der allerneusten Zeit wird der nimmerruhende Kampf gegen Christi Gottheit nach anderem als noch erfolgssicherer hingestelltem System weitergeführt und geben sich selbst für katholisch geltende Theologen und Gelehrte zu Waffenträgern dieser "Ritter des Geistes von unten" und zu vielleicht halbbewußten Handlangern beim herzkränkenden Zerstören und Verunehren des Allerheiligsten des Neuen Bundes her, immer bereit, herabzuwürdigen, statt zu erheben, was an Christus groß und glorreich ist: die Verehrung, wie sie ihm seine unfehlbare Kirche erweist, die Sakramente, die er eingesetzt, die Hirten, denen er den Stab in die Hand gegeben, kurz seine Lehre, sein Evangelium, alles, was er zu glauben und zu tun geboten hat. Nachdem er schon zuvor vieles gelitten, wird er von diesem Geschlechte noch ganz verworfen werden? Da stellt einer die Frage: Hatte Christus von Anfang an das Bewußtsein seiner Messiaswürde? Ein anderer: Konnte Jesus irren? Ein dritter bietet das Buch herum: Der vorchristliche Jesus. Und ein "allverehrter Gottesgelehrter", dessen sich Gott erbarmt haben möge, schrieb: "Selbst die Kirche scheint die eigentliche Bedeutung Jesu mehr in das zu legen, was er erlitten, als was er gelehrt hat." Die Gotteswissenschaft wird von ihren respektlosen Händen zur pseudoreligiösen, kritischen Philosophie und die Vernunft knechtet den Glauben und Pius X. erhebt seine Stimme wie Johannes: Non licet! Es ist nicht erlaubt! und brandmarkt die "Modernisten", "die uns alles anders, alles gegen die Gewohnheit und anders, als wir es überkommen haben, auftischen" (St. Bernh. Ep. 189.) und uns einen Christus drechseln, von dem unsere Väter nichts gewußt haben und die Kirche nichts wissen will. Die Früheren lästerten, was sie nicht kannten (2. Petr. 2,12.), der Modernismus lästert, was er nicht liebt, und braut aus den Strünken und Wurzeln der ausgerissenen Giftpflanzen der vergangenen Zeiten ein berauschendes Getränk zusammen, das Christus nicht segnet und seine Abendmahlsgäste verabscheuen, im "goldenen Becher des Greuels". (Offenb. 17,4.)
"Das sind nun die", spricht der Apostel (3. Jud. 19 f.), "welche sich selbst trennen und Spaltungen verursachen, sinnlich sind und den Geist nicht haben. Ihr aber, Geliebteste, bauet euch fest auf euern allerheiligsten Glauben!", auf den Glauben der Apostel und Märtyrer, der Kirchenväter und Konzilien, auf den Glauben der Vergangneheit, den Glauben der Kirche in der Jetztzeit, auf den Glauben, welcher die Welt überwindet, bis sie untergeht; auf den Glauben, "daß Jesus der Sohn Gottes ist und daß er gekommen ist, und uns den Sinn gegeben hat, den wahren Gott zu erkenenn und mit seinem wahren Sohne vereinigt zu sein. Dieser ist der wahre Gott und das ewige Leben." (1. Joh. 5,20.)

Was ist uns nun Christus Jesus, von dem die Wahrheit zu bezeugen Johannes Baptista gesandt worden ist? "Lasset uns aufblicken zu dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der solchen Widerspruch (auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten, wie wir gehört haben) gegen sich erduldet hat (Heb. 1,2 f.)!"
Durch die unendliche Barmherzigkeit Gottes war unserer Erde die unaussprechliche Gnade zugedacht, daß die zweite göttliche Person - wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit mit dem Vater und dem Geiste - die gebrechliche menschliche Hülle annehme, daher zugleich wahrer Mensch, wahrer Bürger unserer Erde werden sollte. "Dieses Ebenbild Gottes des Unsichtbaren" - denn der Vater ist den leiblichen Augen nie erschienen - "der Erstgeborene vor allen Geschöpfen" "hielt es, da er in Gottes Gestalt war, für keinen Raub, Gott gleich zu sein, entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, den Menschen gleich, und ward im Äußern wie ein Mensch erfunden (Kol. 1,15; Phil. 2,6.)."
Die Frage: "Was glaubt ihr von Christus? Wessen Sohn ist er (Matth. 22,42.)?" ist demnach für uns, ja ist überhaupt die wichtigste, die es gibt. Denn, lehrt die hl. Kirche (Athanasianisches Glaubensbekenntnis), "zum ewigen Heile ist der rechte Glaube an die Menschwerdung Jesu Christi notwendig. Dieser aber besteht darin, daß wir glauben und bekennen, daß Unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, Gott und Mensch ist. Als Gott ist Er aus dem Wesen des Vaters von Ewigkeit gezeugt, und als Mensch ist Er aus dem Wesen der Mutter in der Zeit geboren. - Vollkommen als Gott und vollkommen als Mensch, aus einer vernünftigen Seele und einem menschlichen Körper bestehend, dem Vater gleich der Gottheit nach, geringer als der Vater der Menschheit nach. - Oblgleich Er aber Gott und Mensch ist, so sind doch nicht zwei, sondern es ist Ein Christus; Einer aber nicht durch Verwandlung der Gottheit in die Menschheit, sondern durch Aufnahme der Menschheit zu Gott; Einer überhaupt nicht durch Vermischung des Wesens, sondern durch die Einheit der Person. Denn gleichwie die vernünftige Seele und der Leib Ein Mensch sind, so ist auch Gott und Mensch Ein Christus. Derselbe hat gelitten für unser Heil, ist abgestiegen zu der Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen Er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten. Bei Seiner Wiederkunft werden alle Menschen auferstehen müssen mit ihren Leibern, Rechenschaft abzulegen von ihren Werken. Und die Gutes getan haben, gehen ins ewigeLeben, die aber Schlechtes, ins ewige Feuer. Das ist der katholische Glaube: wer diesen nicht treu und fest geglaubt hat, kann nicht selig werden."

Die Wahrheit, daß Unser Herr Jesus von Nazareth der eingeborene Sohn Gottes ist, die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit, wahrer Gott von Ewigkeit aus dem Wesen des Vaters, ist durch die Weissagungen der Propheten, die Erklärungen des himmlischen Vaters, das Zeugnis Jesu selbst und seines Vorläufers Johannes, die Lehre der Apostel und endlich durch den beständigen Glauben der heiligen Kirche unwiderleglich dargetan und bewiesen.
In den Weissagungen wird der Erlöser als der Sohn Gottes, als mit göttlicher Macht und Würde ausgerüstet, verkündet und ausdrücklich Gott genannt. Da nun Jesus der verheißene Erlöser ist, so ist er auch Gottes Sohn und wahrer Gott: "Gott selber kommt - ruft Isaias - und erlöst euch (Is. 35,4.)."
Der himmlische Vater hat Jesus bei dessen Taufe im Jordan für seinen Sohn erklärt: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe." Ebenso bei der Verklärung Christi auf Tabor mit dem Zusatze: "diesen sollt ihr hören." Und als einst der Heiland betete: "Vater, verherrliche deinen Namen", da kam eine Stimme vom Himmel: "Ich habe verherrlicht und werde ferner verherrlichen (Matth. 3,17; 17,5; Joh. 12,28)."
"Johannes gab Zeugnis von ihm, rief und sprach: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Der nach mir kommen wird, ist vor mir gewesen; denn er war eher als ich. Ich kannte ihn nicht; aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, sprach zu mir: Über welchen du sehen wirst den Geist herabsteigen und auf ihm bleiben, dieser ist's, der mit dem Heiligen Geiste tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt, daß dieser der Sohn Gottes ist... Wer vom Himmel kommt, ist über alle. ... Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben (Joh. 1;3.)", denn er ist das Leben (Joh. 14,6.).
Jesus hat von sich selbst ausdrücklich bezeugt, daß er Gottes eingeborener Sohn sei (Joh.10,36.), die göttliche Natur und göttliche Eigenschaften besitze (Joh. 5,26; 8,58; 10,30. 38; Matth. 11,27; 28,18.) und göttliche Werke verrichte, und daß ihm göttliche Anbetung gebühre (Joh. 5,22; 17,3; 14,1.) Demgemäß hat er auch das Bekenntnis anderer über seine Gottheit angenommen. Zum Blindgeborenen sprach er nach dessen Heilung: "Glaubst du an den Sohn Gottes?" Der sagte: "Wer ist es, Herr, damit ich an ihn glaube?" Jesus antwortete: "Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist es." Der aber sprach: "Herr, ich glaube!" Und er fiel nieder und betete ihn an, und der Herr hat es nicht gehindert (Joh. 9,35-38). Zum Weibe am Jakobsbrunnen spricht er: "Ich bin der Messias!" und die Samariter gestehen: "Wir haben ihn jetzt gehört und wissen, daß dieser wahrhaftig ist der Heiland der Welt (Joh. 4,26. 42.)." Den Juden sagt er selber: "Ich bin der Sohn Gottes; tue ich die Werke meines Vaters nicht, dann möget ihr mir nicht glauben. Wahrlich, wahrlich sage ich euch, ehedenn Abraham ward, bin ich. Ihr habt zu Johannes gesandt, und er hat der Wahrheit Zeugnis gegeben; und ich weiß, daß das Zeugnis wahr ist, welches er von mir ablegt. Den Vater kennt niemand als der Sohn; alles was der Vater tut, tut auf gleiche Weise auch der Sohn. Ich und der Vater sind eins (Joh. 10,30. 36 f; 8,58; 5,33; 5,17 f.)." Und den Aposteln: "Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, den allein wahren Gott erkennen und Den Du gesandt hast, Jesus Christus (Matth. 28,18; Joh. 5,22; 17,3.)."
Und Jesu Aussprüche verhallten nicht klanglos; von seinen Jüngern sowohl wie von seinen Feinden wurden sie in dem von ihm gewünschten Sinne verstanden und aufgefaßt. "Wofür halten die Leute den Menschensohn?" fragte Jesus in der Gegend der Stadt Caesarea Philippi seine Jünger (Matth. 16,13 f.). Und sie sprachen: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elisas, andere für Jeremias, oder einen aus den Propheten. Und Jesus sprach zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du Simon, Sohn des Jonas; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist." "Und der Hoheprieser sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagst, ob du Christus, der Sohn Gottes, bist. Jesus sprach zu ihm: Du hast es gesagt! Ich sage euch aber: Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen (Matth. 26,63 f.)."
Dieses Zeugnis von sich selbst hat Jesus durch sein Leben, durch seine Lehre, durch seinen Kreuzestod, durch Weissagungen und Wunder, besonders aber durch seine glorreiche Auferstehung als wahr bekräftigt, denn er ist für die Wahrheit seines Bekenntnisses, daß "er Christus, der Sohn Gottes" sei, in den Tod gegangen und hat diese Wahrheit durch seine glorreiche Auferstehung besiegelt, wie die Apostel einstimmig lehren und die Kirche zu allen Zeiten festgehalten und standhaft und feierlich bekannt hat. Dieser Glaube hat ungeachtet aller Hindernisse den Sieg errungen und ist der Glaube der gebildeten Völker der Welt geworden. "Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube, daß Jesus der Sohn Gottes ist." Gleichzeitig mit dem Siege des Christentums aber hat die Religion, welche in der Ordnung des alten Bundes beharrt und den Messias noch erwartet, dessen Vorläufer Johannes gewesen, alle Kennzeichen ihrer ferneren Geltung verloren. Diesen Glauben hat die Kiche gegen alle Irrlehrer verteidigt vom ersten bis zum zwanzigsten Jahrhundert; derselbe ist in den Werken und Schriften der hl. Väter niedergelegt, ist stets als Grundfeste unserer hl. Religion betrachtet und durch den Tod unzähliger Märtyrer besiegelt worden. Der größte Schatz, die Lebensquelle der Kirche, ist eben der Glaube an "Christus, der da ist über alles, Gott, hochgelobt in Ewigkeit." (Röm. 9,5.)

Fortsetzung (4)

Dienstag, Juni 19, 2007

Der Gott-Mensch Jesus Christus - (2)

Verderblicher denn alle Genannten wirkte die charkterlose Irrlehre des ruhmsüchtigen Priesters Arius von Alexandrien (gestorben 336), der an Tücke und Spott, an Gewalttätigkeit und Erfolg die bisherigen Ketzer zu überflügeln suchte. Es gab eine Zeit, wo Gottes Sohn nicht war; denn der Sohn müsse doch notwendigerweise jünger und geringer sein als der Vater, lehrte der Unselige, denn sonst wäre er der Sohn nicht. Arius leugnete demnach, daß der Sohn wahrer Gott und gleichen Wesens mit dem Vater sei, und was die Verfolgungen dreier Jahrhunderte nicht vermocht hatten - den Glauben an die Gottheit Christi zu erschüttern - das vermochten der Priester Arius und seine Partei: die ganze Christenheit teilte sich und ward verwirrt duch mehr denn vier Jahrhunderte. Die Ursache, weswegen der Irrtum des Arius so großen Anhang fand, lag unter anderem darin, daß man, eigene Einsicht überschätzend, göttliche Geheimnisse mit menschlichem Geiste wähnte begreifen und durchschauen zu müssen: ein Irrtum, ein Vernunftdünkel, der bis auf die Neuzeit immer wieder der Vater neuer Irrlehren geworden. Der Charakter des Arianismus war Trennung der Welt von Gott. Gott könne an sich nicht in unmittelbarer Berührung mit dem Endlichen stehen, Er sei zu erhaben und es zieme sich auch für Seine Würde nicht; dies war der oberste Grundsatz des Arianismus. Daher war ihm der Sohn Gottes nur ein Zwischenwesen zwischen Gott und der Welt, so daß dieser arianische Christus mit dem Demiurgos der Gnostiker große Ähnlichkeit aufwies. Er war geboren nicht aus dem Wesen des Vaters; in der Zeit, nicht von Ewigkeit; nicht wahrer Gott vom wahren Gott, sondern aus dem Nichts. Der Heilige Geist wird später von den Arianern noch niedriger gestelllt, da ihn ja der Sohn gesandt hat. Trotzdem beteten sie den Vater an durch den Sohn im Heiligen Geiste, so daß eine Vielgötterei entstand und die ganze Grundlage des Christentums von ihnen zerstört wurde.
Der hochgelehrte Apollinaris, Bischof von Laodicea und Magister des hl. Hieronymus, verkündigte nach geradezu apostolischer Verteidigung der Wahrheit die unglaublichsten Irrtümer. Der Sohn Gottes habe seinen Körper, ohne die vernünftige Seele, vom Himmel mitgebracht; die Seele wäre von der Gottheit ersetzt worden; folglich habe Christus auch der Gottheit nach gelitten. Groß ist der Heilige Geist, größer der Sohn, am größten der Vater.
Die antiochenische Diakon Aëtius leugnete die Gottheit des Sohnes und des Heiligen Geistes, die Existenz eines Reinigungsortes, sowie den Unterschied zwischen Papst, Bischof und Priester und behauptete, der Mensch müsse so notwendig sündigen wie Atem schöpfen.
Der Bischof Eunomius von Cyzicus (gestorben 396) lehrte, Christus heiße nur bildlich Gott, etwa wie man einen gemalten Menschen "einen Menschen" nennt, und sei nicht seinem Wesen nach, sondern gewissen Seelenkräften nach Mensch geworden; der Bischof Theodor von Mopsuestia hingegen wollte nur eine moralische, äußerliche Vereinigung des "Wortes" mit der menschlichen Natur zugeben, etwas anderes sei das "Wort" oder der "Logos", etwas anderes Christus; dieser letztere, allen menschlichen Leidenschaften unterworfen, wäre täglich heiliger geworden, habe die Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes empfangen und bei dieser Gelegenheit Gottes Gnadenfülle und Sohnschaft überkommen. Thomas' Worte: Mein Herr und mein Gott! seien kein Bekenntnis der Gottheit Jesu Christi, nur ein Ausruf der Verwunderung (etwa wie das altbayerische "O mein lieber Herrgott!) gewesen, und Christus habe, wie vor ihm Plato und nach ihm Manes oder Marcion, seine Glaubenslehren - die eine von da, die andere von dorther genommen und zu einem Glaubenssystem - dem christlichen - verbunden.
Der Patriarch Nestorius von Konstantinopel (gestorben 440), unwissend und gewalttätig, behauptete nach Theodors Vorgang in hochtrabendster Weise, Jesus Christus sei eigentlich ein bloßer Mensch, der mit dem Logos verbunden und weit mehr als alle Heiligen und Propheten mit dem Geiste und der Kraft Gottes erfüllt war. Gott der Logos und Jesus von Nazareth seien verschiedene Personen, in denen jedoch die eine Person mit der andern so vergesellschaftet sei, daß ihre Vereinigung noch enger ist als die Verbindung des Menschen mit dem Gewande, in das er sich hüllt, oder des Tempels mit der ihn bewohnenden Gottheit. Wegen der Beziehungen, in welchen der Sohn Mariens zu Gottheit stehe, indem er an ihren Vorzügen und Ehren teilnehme und aller Anbetung würdig sei, werde er Gott genannt. Mit dem von Maria der Jungfrau geborenen Menschen Jesus habe sich das ewige Wort bloß vereinigt; Maria sei daher nicht Gottesgebärerin oder Mutter Gottes, sondern nur Christusgebärerin, denn der Name "Christus" bezeichne nicht einen Gottmenschen, sondern bloß einen mit Gott verbundenen Menschen, einen "Gottesträger", nämlich der Sohn Mariens.
Der bejahrte Archimandrit (Abt) Eutyches zu Konstantinopel (gestorben um 460) verstieg sich in seinem blinden Eifern gegen Nestorius zu dem nicht minder ketzerischen Satze, daß in Christus, wie nur eine Person, so auch nur eine Natur, die göttliche, sei, welche die menschliche verschlungen habe. Seine Anhänger nannte man Monophysiten.
Die Monotheleten (seit 612) gaben zwar die zwei Naturen in Christus zu, leugneten aber den menschlichen Willen, der im göttlichen aufgegangen sei.
Die letzte der Ketzereien endlich, die sich direkt gegen die allheilige Person Jesu wandten, im Grund genommen eine Abart und Nachwucherung des Nestorianismus, war der gegen Ende des achten Jahrhunderts in Spanien entstandene, schon von Bonosus gelehrte sogenannte Adoptianismus, d.h. die von den Bischöfen Elipandus aus Toledo und Felix von Urgel ausgeheckte Lehre, daß Christus nicht wahrhaft Einer und von Natur der Sohn Gottes sei, sondern daß er seiner hl. Menschheit nach von Gott bei seiner Taufe im Jordan als Adoptivsohn angenommen worden.
Aber auch Mohammed (gestorben 632), der "Prophet Allahs", der die Dreifaltigkeit, die Gottheit und die Gottessohnschaft, den Tod und demnach auch die Auferstehung Jesu Christi, nicht aber Seine Himmelfahrt leugnete; - die vom griechischen Kaiser Leo dem Isaurier veranlaßte, von Konstantin V. (Kopronymos) und Leo III. gewaltsam ausgebreitete Bilderstürmerei (726-787), bei welcher nicht nur die Bilder der Heiligen, sondern auch die des göttlichen Heilandes beschimpft, verunehrt, vernichtet wurden, bis das Konzil von Nicaea 787 dem sinnlosen, tyrannischen Unfuge ein Ende machte; - das vom listigen Eindringlinge auf den Byzanzer Patriarchenstuhl, Photius (gestorben 891), um das Jahr 863 in anmaßender Weise begonnnene, vom Patriarchen Michael Caerularius im Jahre 1053 vollendete, bis heute andauernde griechisch-russische Schisma, welches hartnäckig leugnet, daß der Heilige Geist von Ewigkeit von dem Vater und dem Sohne (Filioque) ausgeht, also wie in der Kirche, so in der allerheiligsten Dreifaltigkeit eine Trennung hervorrief; - der deutsche Benediktiner Gottschalk, welcher den Heiland nur für die Auserwählten, nicht aber für die ganze Welt leiden und sterben läßt; - die Bogumilen in Bulgarien, nach deren Meinung der Erzengel Michael Mensch geworden, und die katholische Taufe nicht Christi sondern des Johannis Taufe war; - Tanchelin von Antwerpen (gestorben 1130), der das allerheiligste Sakrament des Altars für unnütz erklärte; - die Waldenser und Albigenser, welche einen bösen und einen guten Gott lehrten, einen Christus, welcher als Gott nicht gelitten, als Mensch nicht erlöst habe; - Petrus Johannes (Ende des 12. Jahrhunderts), der den gekreuzigten Heiland beim Lanzenstiche des Soldaten noch leben ließ; - Berthold von Rohrbach (gestorben 1356), der zu Würzburg lästerte, daß Christus im Kreuze vor Schmerz verzweifelt sei; - der plumpe Pfarrer Wiklef (gest. 1387), der des Herrn Gegenwart im Allerheiligsten leugnete und ein Revolutionschristentum einzuführen versuchte; - Cecco von Ascoli (gestorben 1394), ein Astrologe, welcher behauptete, Christi ärmliche Geburt und schimpflicher Tod sei durch den Einfluß der Gestirne erfolgt; - Johannes Hus (gestorben 1416), der da lehrte, die zwei Naturen, die Gottheit und die Menschheit, seien ein Christus; Petrus sei nicht das Haupt der Kirche, noch der Papst; die Kirche Christi bestehe nur aus den Auserwählten; - Hermann Ruyswick (gest. 1512), der den lieben Heiland zum "Verführer der einfältigen Menschen" stempelte und die Hölle leugnete; - die ganze unglückselige Schar der religiösen Umsturzmänner ("Reformatoren") des sechzehnten Jahrhunderts: der ungestüme Martin Luther (gestorben 1546), der u.a. jeden Getauften zum "Priester" stempelte, Petri Primat leugnete, Jesu beständiges Weilen im Allerheiligsten bestritt, und fünf Sakramente verwarf; - der finstere Johann Calvin (gestorben 1564), nach dessen Lehre Christus, der nur für die Auserwählten, nicht für alle Menschen gestorben sei, am Kreuze der Verzweiflung anheimgefallen; - der Hetzpfarrer Ulrich Zwingli (gestorben 1531), welchem jeder Prediger ein "Priester", das Abendmahl ein "Symbol", die Macht des Papstes, der Bischöfe und Priester aber ein "Unsinn" war; - der "Schwarmgeist" Andreas Karlstadt (gestorben 1541), der das Abendmahl nur als "Erinnerung an Christi Tod" gelten lassen wollte und beantragte, die christliche Justiz sei nach dem mosaischen Gesetze zu handhaben; - der im Wahren wie im Falschen wankende Philipp Melanchthon (gestorben 1560); - Johann Oekolampadius (gestorben 1531), der das Abendmahl nur als "Figur des Leibes Christi" betrachtete; - der bestechende Martin Bucer (gestorben 1551), der da lehrte, Christus sei nur während des Genießens des Abendmahles in demselben gegenwärtig und werde nur infolge des schauenden Glaubens empfangen, auch gebe es keine unfehlbare Kirche auf Erden; - der Schmiedsohn, Schimpfer und Trinker Andreas Osiander (gestorben 1552), der uns von Christus - nur insofern er Gott war - erlöst werden läßt, und sein gleichwertiger Gegner Franz Stankarus (gest. 1590?), der da lehrte, Christus sei unser Mittler einzig seiner Menschheit nach; - Andreas Musculus (gestorben 1568?), der Christi göttliche Natur unbegreiflicherweise zugleich mit der menschlichen am Kreuze sterben läßt; - der Schwabe Johann Brentius, dessen Ansicht gemäß Christi Leib überall, also auch im Brote vor der Verwandlung zugegen ist; - der gottlose Kalabrese Valentin Gentilis (gestorben 1556) und der Atheist Michael Servet (gestorben 1553), die ohnmächtigen Bekämpfer der allerheiligsten Dreifaltigkeit; - der tolle Jakob Schmidlin (gestorben 1591), der sich einbildete, der Heiland wäre in die Hölle der Verdammten hinuntergestiegen, um daselbst Qual zu leiden; - der feine und tüchtige Theodor von Beza (gestorben 1605), der unter des Erlösers "Abstieg zur Hölle" das "Ruhen im Grabe" verstand; - die gutmütigen Mennoniten (Simon Menno, gestorben 1559), deren Glauben nach Christus nicht in Wahrheit von Maria geboren, folglich nicht wirklicher Mensch wie wir alle, war sondern bloß das "wahre Licht"; - der dünkelhafte Professor Johannes Piscator (gestorben 1615?), der den gottlosen Satz aufstellte, Christus - als Sohn Adams und Abrahams dem Gesetze verbunden - habe bis zu seinem Leiden nur für sich selbst Gerechtigkeit geübt; - der schwärmerische Schuhmacher und Quäckerstifter Georg Fox (gest. 1691), dessen Lehre nach alle Christen, auch die Frauen, Priester sind, Gott sich jedem ihn suchenden Menschen - als "innerer Christus" als "Licht und Wort" - offenbart und alle Sakramente unnütz sind; - der "Antichrist" Faustus Socinus (gestorben 1604), der die Irrtümer des Cerinthus, Arius und Phothinus wieder hervorholte, indem er Christus zum einfachen Menschen herabwürdigte, der nur "Gottes Wort" hieß, weil er Gottes Wort verkündigt habe, so daß es von ihm heißt: Tota licet Babylon destruxit tecta Lutherus, Calvinus muros, sed fundamenta Socinus; - der Jansenisten (seit 1642), welche Christi allumfassendes Erlöseramt nur auf die "Vorherbestimmten" beschränken; diese ganze große Schar von Katholikenfeinden, die den Acker Gottes mit teuflischem Unkraut übersäten, nachdem sie mit Gewalt dazu in den Nationen die tiefsten Furchen gezogen; - die französische Philosophenschule des siebzehnten Jahrhunderts, Alembert, Diderot, Voltaire usw., welche alle Grundwahrheiten des Christentums lächerlich machten, vom Spotte zum Unglauben und von diesem zur gänzlichen Gottesleugnung übergingen und die "Entthronung Gottes" und die Erhebung der "Vernunft" auf den Altar von Notre-Dame und der "modernen Religion" einleiteten; - die Saint-Simonisten, denen zufolge "das Christentum, die Religion der Betrübten", und mit ihm der Katholizismus seine Sendung vollbracht habe und das ewige Evangelium der Glückseligkeit des Fleisches auf Erden seinen Anfang zu nehmen habe; - endlich die Unzahl der Geisteserben eines Kant, Schelling, Fichte, Hegel, Paulus, Strauß, Schenkel, Ronge, Bauer, Feuerbach, Ruge und die "Heiligen der letzten Tage", die Mormonen: - sie alle haben sich der Gotteslästerung, der Majestätsbeleidigung Jesu Christi, des Aufruhrs gegen den himmlischen König der Wahrheit und Liebe, der infamsten Mißhandlung des in unserer Natur auf Erden erschienenen "Wortes Gottes" und seines "Wortes" schuldig gemacht; allen diesen Ungläubigen ist er, "der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der dennoch zum Eckstein wurde, ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses geworden" (1. Petr. 2,7 f.) alle sie hat der Apostel Judas gebrandmarkt als "Wolken ohne Wasser, die von den Winden umhergetrieben werden; Bäume des Herbstes, unfruchtbar; zweimal erstorben, ausgewurzelt; wilde Wellen des Meeres, die ihre eigene Schande ausschäumen; Irrsterne, welchen der Finsternis ewiges Dunkel aufbehalten ist." (Jud. 12 f.)

Fortsetzung (3)

Der Gott-Mensch Jesus Christus - (1)

Als Vergilius (gestorben im Jahre 19 vor Christus) in seiner vierten Ekloge ("Idylle") sang: "Schon nahe das letzte Weltalter des sibyllinischen Liedes, von vorne beginne der mächtige Kreislauf der Jahrhunderte wieder, es werden getilgt die Spuren unserer Verschuldung und die Erde erlöst von immerwährendem Schrecken, etwas Neues, etwas Großes komme aus den Höhen herab" - so war dies sicher nicht nur ein dichterischer Einfall. Denn eine allgemeine Vorstellung und Erwartung einer Erlösung, einer Wiedergeburt der lebensmüden Menschheit hielt das ganze Volk Israel in Spannung und selbst die Heiden des weiten Römerreiches standen der Idee einer nahenden himmlischen Hilfe aus allem materiellen und geistigen Elende nicht nur nahe, sondern mit sehnsüchtiger Hoffnung gegenüber. Die Götter hatten abgewirtschaftet, ausgehaust - man ersehnte den Gott; die "Fülle der Zeit" drängte die gottesbedürftige Menschheit dem Kommenden entgegen.

Die Religion befriedigte nicht mehr, die Philosophie entbehrte des richtigen Trostes; die Menschheit lechzte nach Licht, Wahrheit und Leben von der Themse bis zum Indus. Stille, fromme Betrachter der Offenbarung waren mit dem Gedanken der Menschwerdung vertraut ohne Philosophie; die Aussprüche der Propheten, die Ahnungen der Sibyllen, die Andeutung der Seher, Dichter und Weisen, alles verkündigte die Ankunft eines Allretters, mit dem eine neue Zeit des Heiles für alle Völker des Orbis Romanus, des Erdbodens, anbrechen würde. Die Bürgertugend des heidnischen Altertums war zu Grabe getragen, die Welt lag in Sünden und Lastern und an den notwendigen Folgen derselben, innerem und äußerem Elende mit Hoffnungslosigkeit, darniedergebeugt, selbst Palästina, das heilige Land des Volkes Gottes, nicht ausgenommen. Jehova thronte noch auf Moria und Opferwolken umhüllten sein Heiligtum und ihn selbst, denn er schien Israel vergessen zu haben, er sprach seit Jahrhunderten nicht mehr zu seinem Volke, weil er sein "Wort" selber bald herabsenden wollte.

Josephus Flavius, der Weissagungshändler zugunsten der Römer, der die Hoffnungen Jakobs und Judas auf Rom und seine Weltmacht übertrug, bestätigt das Gespanntsein seines Volkes auf das bevorstehende Kommen des Schilohs, auf die Erscheinung Dessen, dem die Völker entgegenharrten. Titus Livius, der ernste Historiker, erklärte Rom, "das für die Ewigkeit gebaute Rom", als zukünftige Residenz einer neuen Macht, eines neuen Priestertums, eines neuen Völker- und Menschheitsrechtes; Cicero ahnte jenes Reich mit dem ewigen Gesetze göttlichen Charakters, dem binnen kurzem die Menschheit unterstehen würde; die Stoiker und Platoniker erwarteten ein neues glückseliges Zeitalter mit Anfang des großen Weltjahres; und Sueton und Tacitus erinnern an die alte und beständige Meinung (vetus et constans opinio), daß demnächst eine geheimnisvolle Weltmacht von Judäa ausgehen sollte. (Suet. Vesp. 4. Tacit. V, 13; XIV, 22; Heyne, Annot, in Virgil. I. p. 96; Eus. Vit. Const. V. i. e. Const. or. c. 19. 20.)

In der Tat, so spricht Gott: "Siehe! Das Vorige ist gekommen und Neues verkündige ich; noch eh' ein Keim sich zeigt, tue ich es euch zu wissen... Siehe nun, ich wirke Neues; schon ist es im Entwickeln, ihr werdet es wohl erfahren... Dieses Volk habe ich zu meiner Verherrlichung erschaffen, gebildet und gemacht - es wird mein Lob verkünden. Und nun höre, Jakob, mein Knecht, und Israel, den ich erkor! Ich will meinen Geist über deinen Samen gießen und meinen Segen über dein Geschlecht. Fürchtet euch nicht! Habe ich es nicht schon lange euch eröffnet und vorausgesagt? Ihr seid meine Zeugen... Tauet ihr Himmel von oben herab, die Wolken mögen regnen den Gerechten; die Erde tue sich auf und sprosse den Heiland. Ich, der Herr, schaffe ihn. Wie die Morgenröte bereitet sich der Ausgang... Ich habe bei mir selbst geschworen, aus meinem Munde geht nur Richtiges, ein Wort, das nie zurückgenommen wird: Mir wird jedes Knie sich beugen, schwören jede Zunge!... Jauchzet ihr Himmel! denn der Herr hat Barmherzigkeit getan; jubelt ihr Enden der Erde, erschallet von Lob ihr Berge, du Wald und alle Bäume darin, denn der Herr erlöst Jakob und zeigt sich herrlich an Israel!" (Is. 42; 43; 44; 45.)

Was Heidentum und Judentum negativ und positiv zur Anbahnung der neuen Zeit und zur Vorbereitung auf Christus nach dem göttlichen Weltplan leisten sollten und konnten, war erreicht. Niemals sehnte sich die Menschheit mehr nach der Religion des Geistes und der Wahrheit; Juden und Heiden, die sich sonst so schroff gegenüber gestanden, hatten sich bei dem allgemeinen Gefühle der äußeren Bedrückung und inneren Zerrüttung einander genähert - der Orbis Romanus, das römische Reich, umschloß ja fast die ganze damals bekannte Welt und Friede herrschte allüberall, außer in den Gemütern und Seelen und Geistern. Denn Finsternis bedeckte die Erde, Seelenfinsternis, und Dunkel, Herzensdunkel, die Völker (Is. 60,2.) - da erschien in der Wüste des Judenlandes ein seltsamer Mann, ein Bußprediger, ein Prophet, ein Ankündiger des Erwarteten, ein Bote des neuen Reiches und sprach von einem Großen, Mächtigen, immer Gewesenen, jetzt Kommenden, von Buße, Umkehr und Gericht - der hieß Johannes. "Für wen ihr mich haltet", rief er den ihn Anstaunenden zu, "der bin ich nicht. Aber siehe, er kommt nach mir. Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! wie der Prophet Isaias gesagt hat." Und Gott schlug das bis zum äußersten vollgeschriebene Riesenblatt der alten Weltgeschichte um und sein Finger schrieb darauf zuoberst: Christus.

Darnach erscheint Christus, der in der "Fülle der Zeit" Kommende, als der Ziel- und Standpunkt der Zeit und aller Geschichte; und wie der Gruß Gottes selber tönte das Wort des Johannes durch die erwartungsmüde Welt. In der Fülle der Zeiten kam Der, in welchem der Gottheit Fülle leibhaftig wohnte (Gal. 4,4, Kol. 2,9.), und die Fülle der Gnaden, ein Segensstrom, ergoß sich, hervorgerufen und geleitet von seiner Hand, über die schmachtende Erde; und wir zählen mit Recht unsere Jahre von diesem größten, wichtigsten, einflußreichsten Ereignisse, der höchsten Offenbarung des göttlichen Erbarmens. Christus ist der Mittelpunkt der Menschheit, die Lichtquelle, die nach allen Seiten ihre Strahlen, der Lebensborn, der überallhin seine nie versiegenden Wasser sendet, und die Geschichte der Menschheit wird einzig von diesem ihrem natürlichen Zentrum aus verstanden:

Nur wer sich in den Mittelpunkt gestellt,
Versteht die alte wie die neue Welt,
Den andern bleibt ihr ew'ger Geist verschlossen.

"Wer an diesen (den Sohn des Vaters) glaubt", ruft Johannes vom ersten Tage des Neuen Bundes an, "der hat das ewige Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen." (Joh. 3,36.)

Wenn wir nun eingangs die Frage stellen: "Was glaubt ihr von Christus?", so denken wir dabei unwillkürlich an Jesu fast beängstigendes Wort - beängstigend für uns, die wir ohne den Glauben an ihn dem Verderben anheimfallen: "Der Menschensohn, wenn er wiederkommt, wird er (wohl noch) Glauben finden auf Erden?" (Luk. 18,8.) Den wahren Glauben Christi, den reinen Glauben an Christus, den Gottmenschen, den Heiland, den Richter? Und wir schließen uns desto enger an die Kirche an, aus welcher der wahre Glaube, der reine Glaube an Christus nie entwichen ist und nicht entweichen kann, und sonnen uns in dem himmmlischen Lichte der Wahrheit, das sie allein uns zu bieten vermag. Und die Beantwortung der Frage Christi: Was glaubt ihr von Christus? ist das Fundament, auf dem wir stehen und bauen. Vom Kindlein Jesus schon weissagte Simeon (Luk. 2,54.): "Siehe, dieser ist gesetzt als ein Zeichen, dem man widersprechen wird, als ein Stein der Prüfung, des Anstoßes, des Verderbens für viele." Und Johannes' Wort: "In eurer Mitte steht der, den ihr nicht kennt" (Joh. 1,26.) - es war nicht bloß ein Vorwurf für die Priester, Leviten und Pharisäer aus Jerusalem, sondern zugleich Prophezie und Tadel und Verurteilung für nicht wenige von Priestern, Theologen, Bischöfen und Erzbischöfen, Universtitätsprofessoren und andere Gelehrten und Ungelehrten vom ersten bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert, und bleibt es auch für die Christus-Verkenner der Zukunft, bis er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, seine Anbeter und seine Verunehrer.

"Wo der Leichnam ist, da versammeln sich die Geier" - "und selig ist, wer sich an mir nicht ärgert." (Matth. 11,6; 24,28.)

In der Tat gibt es keine kirchliche Lehrstreitigkeit, die in ihren tiefsten Wurzeln und letzten Ausgangspunkten sich nicht auf eine Verschiedenheit der Grundvorstellung von der Person Jesu Christi zurückführen ließe. Vielgestaltig ist der Irrtum - aber Irrtum bleibt er immer; viele Gestalten und Formen nimmt "der Vater der Lüge" (Joh. 8,44.) an - aber er bleibt immer der Teufel. Schon zu Lebzeiten der heiligen Apostel Petrus, Paulus, Judas und Johannes treffen wir Irrlehrer und Sekten, "welche sich aufgelehnt haben wider das Licht, welche teils die Gottheit, teils die wirkliche Menschheit Jesu Christi und infolgedessen meistens alle Sittengesetze aufhoben, wie sie die erste Christenheit beunruhigten und verwirrten - "Hunde, Verführer und Antichristen." (Joh. 24,13; Phil. 3,2; 2. Joh. T.)

Da leugnete Simon Magus aus Samaria das wirkliche Leiden und Sterben des wahren Mensch gewordenen Jesus und dessen wirkliche Gegenwart im allerheiligsten Sakramente; - da behauptete der ephesinische Judenchrist Cerinthus die Notwendigkeit einer Verbindung der jüdischen Beschneidung mit der christlichen Taufe und die Geburt Jesu nach Menschenweise; erst bei der Taufe im Jordan sei der Christus in diesen Menschen Jesus in Taubengestalt herabgekommen, bei der Gefangennehmung am Ölberg aber wieder von ihm gewichen und unsterblich geblieben, während der Mensch Jesus gekreuzigt ward und wieder auferstand; Maria sei nicht eines Gottes Mutter, ihre beständige Jungfrauschaft eine Fabel. Gegen Cerinthus schrieb der Christusliebling Johannes sein erhabenes Evangelium und die apostolische Sentenz: "Jeder Geist, der Jesus Christum aufhebt und nicht bekennt, daß Er im Fleische gekommen, ist nicht aus Gott; und dieser ist der Widerchrist, und er ist jetzt schon in der Welt." (Joh. 4,3) - Da suchte der aszetische Ebion aus Cocheba im Ostjordanland Judentum und Christentum ohne den vermittelnden Eckstein Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, zu verbinden, ließ Christus nur infolge seines Tugendwandels alle sonstigen Menschen übertreffen - wie in unseren Tagen Strauß, Renan und Schenkel - verwarf das Gesäuerte beim Meßopfer und leugnete den Unterschied der Personen in der heiligsten Dreifaltigkeit; während viele seiner Jünger ins Gegenteil gingen und nur an den Gott-Christus glaubten, der nicht im Fleische erschienen sei; - da vereinigte ferner der als Jüngling zum Mosaismus übergetretene Palästinenser Elxai als "Wiederhersteller des Alten" die von Cerinth und Ebion gepredigten Irrlehren in einer Person; - da verlieh der ausschweifende Ägypter Basilides dem Erlöser einen bloßen Scheinköper, ließ Simon von Cyrene statt Christus gekreuzigt werden und verwarf alle heiligen Schriften; - da schrieb der sittenlose Alexandriner Karpokrates, der unheilvolle Stifter der berüchtigten Gnostiker, den "Stammbaum Mariens", worin er die Mutter des Herrn vom Stamme Levi, nicht aber vom Stamme Juda entsprossen lehrt - eine Behauptung, die später dem abtrünnigen Kaiser Julian und dem Manichäer Faustus gefallen hat; Christus läßt er nicht Gott, sondern nur einen höhern Äon (Mittelwesen zwischen Gott und Welt, Genius, Halbgott) sein; Gott aber macht er zum Urheber jeglicher Sünde, doch sei "auch ins Übermaß sündigen, nicht nur kein Unrecht, sondern strengste Pflicht".
Valentinus (gestorben 165), der nichtswürdige Verfasser des mit Albernheiten angefüllten Buches "Von der Kindheit des Erlösers", leugnete die wirkliche Menschheit Jesu Christi, indem er dessen Leib direkt vom Himmel steigen ließ, folglich das wahre Sterben und Auferstehen des Gottmenschen; die Ophiten (Schlangenchristen) hielten Christus für die Schlange, welche Eva zur Sünde verlockt hat; den Sethiten galt dieser dritte Sohn des ersten Menschenpaares, den Melchisedechianern der "König von Salem" als identisch mit Jesus von Nazareth.

Der unkeusche Bischofssohn Marcion von Sinope (gestorben 168) verlieh Christus einen Scheinleib, fand es märchenhaft, daß ein Gott geboren worden, der erst ein Kind, dann ein Knabe, endlich ein Jüngling und Mann gewesen sei, und verwarf das Evangelium des hl. Matthäus und jede Schrift, aus der Christi Menschheit bewiesen werden konnte. Das ganze Alte Testament haßte er und nachdem unter Tiberius auf Erden erschienenen Christus verhieß er einen weit herrlicheren in bäldester Zukunft. Der heilige Polykarpus verweigergte dem Sittenstrenge heuchelnden Marcion den Gruß auf der Straße und nannte ihn "des Satans Erstgeborenen".

Apelles hielt Jesus Christus für "eine aus den feinsten Elemententeilen zusammengesetzte sichtbare Erscheinung, die nach dem Tode in den reinsten Geist sich auflöste und in den Himmel stieg; Montanus der Phrygier und hochangesehene Aszet (gestorben 180) gab sich für den vom Heiland verheißenen Heiligen Geist (Paracletus) aus. Ähnliches behauptete Manes aus Persien (gestorben 276) von sich, der da lehrte, der Heilige Geist sei zwar über die Apostel gekommen, der "Tröster" aber, den Christus versprochen, sei in ihm erschienen. Christus, Buddha, Zoroaster und die Sonne seien identisch; Gottes Sohn, der in der Sonne wohne, sei Mensch geworden, habe auf Satans Anstiften, aber nur in einem Scheinkörper, gelitten und sei wieder in die Sonne zurückgekehrt.

Den Elcesiten war Christus purer Mensch, der in Adam und allen Propheten durch Mitwirkung seiner Schwester, des Heiligen Geistes, sich verkörpert hat. Noëtus aus Ephesus, Praxeas zu Rom und Sabellius in Afrika hielten Vater, Sohn und Geist für nur eine göttliche Person; Paul von Samosata leugnete die Einigung des Wortes mit der menschlichen Natur in Christus, dem er nur seiner guten Taten halber den Titel "Gottessohn" zuerkannte: Photinus von Sirmium lehrte, der Mensch Jesus sei erst bei seiner Taufe im Jordan zum Christus geworden; der Mesopotamier Audeus behauptete nicht nur, daß Gott einen Körper habe, sondern auch, daß Christus sündigen konnte.

Die Origenisten ließen Christi Seele von Anfang an vor jeder irdischen Kreatur mit allen andern überirdischen Geschöpfen zugleich erschaffen und vom Worte Gottes angenommen werden; erst in der Fülle der Zeit behufs Erlösung der Menschen hat sich dann diese Seele mit einem Körper überkleidet. Helvidius leugnete die Jungfräulichkeit der Gottesmutter nach Jesu Geburt, Themistius die Allwissenheit des Gottmenschen, die Christolyten endlich den Aufstieg der Menschheit Christi zugleich mit der Gottheit bei der Himmelfahrt des Erlösers, während die Paulicianer dem Kreuze des Herrn jegliche Ehrfurchtsbezeigung verweigerten.