1. Wenn wir uns in unserem Innern ein Bild von der Hoheit des Heiligen Geistes machen wollen, so dürfen wir uns ihn in keiner Weise verschieden von der Majestät des Vaters und des Sohnes denken; denn das Wesen der göttlichen Dreifaltigkeit weicht in nichts von seiner Einheit ab. Von Ewigkeit her ist der Vater der Erzeuger des mit ihm gleich ewigen Sohnes. Von Ewigkeit her ist der Sohn vor aller Zeit vom Vater gezeugt. Und von Ewigkeit her ist der Heilige Geist der Geist des Vaters und des Sohnes. Daher ist der Vater nie ohne den Sohn, der Sohn nie ohne den Vater gewesen, wie auch Vater und Sohn niemals ohne den Heiligen Geist waren. Deshalb ist auch in der Dreifaltigkeit keine Person älter oder jünger; denn es gibt in ihr keinen Unterschied des Bestehens. Die unwandelbare Gottheit dieser hochheiligen Dreieinigkeit ist eins in ihrem Sein, ungeteilt in ihrem Wirken, einmütig in ihrem Wollen, gleich in ihrer Macht und ebenbürtig in ihrer Herrlichkeit. Wenn nun die Heilige Schrift so von ihr redet, dass sie eine Handlung oder einen Ausspruch einer einzelnen Person als angemessen zuzuweisen scheint, so lässt sich dadurch der Katholik in seinem Glauben nicht wankend machen, sondern sieht darin vielmehr eine Belehrung. Durch diese besondere Zuteilung eines Wortes oder einer Tat soll uns die Wahrheit der Dreieinigkeit zum Bewußtsein gebracht werden! Es soll also unser Geist nicht trennen, was unser Gehör unterscheidet! Nur deshalb werden gewisse Dinge unter dem Namen des Vaters oder des Sohnes oder des Heiligen Geistes erzählt, damit das Bekenntnis der Gläubigen in der Frage der Dreieinigkeit nicht fehlgehe. Da diese nämlich unteilbar ist, so würde man nie das Vorhandensein der Dreifaltigkeit erkennen, wenn von ihr immer nur "gemeinsam" die Rede wäre. In zweckmäßiger Weise führt uns also gerade die Schwierigkeit, dafür Worte zu finden, zur Erkenntnis hin, und kommt uns die göttliche Unterweisung gerade durch unser Unvermögen zu Hilfe: Da man bei der Gottheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes weder an eine einzige Person noch an eine verschiedene Wesenheit denken darf, kann man zwar die wahre Einheit und die wahre Trinität einigermaßen in seinem Innern als einunddasselbe empfinden, aber nie in einunddasselbe Wort kleiden.
3. Lassen wir also zu unserem Heile in unseren Herzen den Glauben feste Wurzel fassen, dass der ganzen Dreieinigkeit zugleich ein und dieselbe Kraft, ein und dieselbe Hoheit und ein und dieselbe Natur eigen ist, dass sie nicht gesondert ist in ihrem Wirken, nicht trennbar in ihrer Liebe und nicht verschieden in ihrer Macht, dass sie zusammen alles erfüllt und alles in sich birgt! Was nämlich der Vater ist, das ist auch der Sohn und der Heilige Geist. Die wahre Gottheit kann bei keinem von ihnen größer oder kleiner sein. Das göttliche Wesen der drei Personen muss sich unser Glaube so vorstellen, dass die drei Personen nicht zu einer werden und ihre gleiche Natur [in allem] die Einheit wahrt. Wenn wir uns diesen Glauben, Geliebteste, so recht zu eigen gemacht haben, dann können wir wohl nicht daran zweifeln, dass mit der Herabkunft des Heiligen Geistes über die Jünger des Herrn am Pfingstfeste die Austeilung der göttlichen Gnade nicht erst begann, sondern nur in größerem Maßstabe fortgesetzt wurde. Auch die Patriarchen und Propheten, die Priester und alle Frommen, die in früheren Zeiten gelebt haben, wurden von demselben Geiste geheiligt und erfüllt. Ohne seine Gnade wurden nie Sakramente eingesetzt, nie Mysterien gefeiert. So war also die Kraft der Gnaden stets dieselbe, wenn auch das Maß der Geschenke nicht immer das gleiche gewesen ist.
4. Auch die seligen Apostel trugen schon vor dem Leiden des Herrn den Heiligen Geist in sich. Selbst in den Werken des Erlösers zeigte sich die Stärke seines Wirkens. Wenn der Herr seinen Jüngern die Macht gab, Krankheiten zu heilen und Teufel auszutreiben (vgl Lk 10,17,20; Apg 3,2 ff; 14,7 ff; 28,8 f), so verlieh er ihnen dadurch die Kraft des nämlichen Geistes, durch die er selbst den Dämonen gebot. Diese Macht sprachen die gottlosen Juden Jesus ab und führten sein göttliches hilfreiches Wirken auf den Satan zurück (vgl Mt 9,34; Mk 3,22; Lk 11,15). Wegen dieser Gotteslästerung vernahmen sie mit Recht den Urteilsspruch des Herrn: "Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber eine Lästerung gegen den Geist wird nicht nachgelassen werden. Wer immer ein Wort redet gegen den Menschensohn, dem wird vergeben werden; wer aber redet gegen den Heiligen Geist, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der zukünftigen (Mt 12,31; vgl Mk 3,28; Lk 12,10)." Daraus geht zur Genüge hervor, dass ohne Anrufung des Heiligen Geistes keine Vergebung der Sünden möglich ist, dass niemand ohne ihn in ersprießlicher Weise seine Schuld beklagen oder so, wie es sich gehört, zu Gott beten kann, nach den Aussprüchen des Apostels: "Um was wir beten sollen, wie es sich gebührt, wissen wir nicht, aber der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern (Röm 8,26)." "Niemand kann sagen 'Herr Jesus' außer im Heiligen Geist (1 Kor 12,3)." Ihn entbehren zu müssen, ist verderblich, da niemand Verzeihung erlangt, wenn ihn sein Fürsprecher verläßt. Alle Jünger, die an den Herrn Jesus glaubten, trugen also, Geliebteste, den Heiligen Geist [schon vor seiner Herabkunft] in sich. Auch die Gewalt, Sünden nachzulassen, hatten die Apostel schon damals erhalten, als sie der Herr nach seiner Auferstehung anhauchte und sprach: "Empfanget den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten (Jo 20,22 f; vgl Mt 18,18)." Allein zur Erreichung jener Vollkommenheit, die den Jüngern zugedacht war, wurden noch mehr Gnaden und eine stärkere Inspiration in Bereitschaft gehalten. Durch diese sollten sie empfangen, was sie noch nicht besaßen, und in den Stand gesetzt werden, das Empfangene sich noch besser zu eigen zu machen! In diesem Sinne sprach der Herr: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht fassen. Wenn aber jener Geist der Wahrheit kommt, so wird er euch die ganze Wahrheit lehren, denn er wird nicht von sich selber reden, sondern alles, was er hört, wird er reden, und das Zukünftige wird er euch verkünden; denn von dem Meinigen wird er nehmen und euch verkünden (Joh 16,12 ff). ..."
Papst Leo I., der Große (440-461) - Sermo 76: Zweite Predigt über das Pfingstfest. - BKV, II, 219-222; - PL 54,404-407.
(Summa Pontificia, Lehren und Weisungen der Päpste durch zwei Jahrtausende, Band I. Eine Dokumentation ausgewählt und herausgegeben von P. Amand Reuter O.M.I., 1978, Verlag Josef Kral, Abensberg, Seite 67)
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