Donnerstag, April 19, 2007

Der alte Glaube und die neue Zeit

von HH Prof. Albert Drexel (+)

Im Folgenden möchte ich das Thema "Sorgen eines Altgläubigen" in der Gesamtsicht der innerkatholischen Krisis und in grundsätzlicher Stellungnahme zu der tödlichen Säkularisierungstendenz des Neomodernismus-Progressismus behandeln. Ich halte dies um so mehr für notwendig, da immer wieder von der einen und von der anderen Seite von einer "Spaltung" gesprochen wird. Ich will damit aber nicht sagen, daß diese Spaltung ein leeres Gerede oder etwa nur eine Äußerung von Übertreibungen sei.
Der alte Glaube ist nichts anderes als der Inbegriff und Zusammenhalt der in der römisch-katholischen Kirche geltenden und zum Glauben verpflichtenden Wahrheiten. Diese Wahrheiten sind allgemein hinreichend bekannt. Als Wahrheit bzw. Wahrheiten sind die Glaubenssätze (Dogmen) unwandelbar, weil Wahrheit niemals wandelbar ist und sein kann. Das Gesamte der katholischen Wahrheiten, Glaubenssätze oder Dogmen genannt, wird in dem Wort "Glaubenssubstanz" zusammengefaßt. So ist der Satz "Christus ist wahrhaft Gott" ebenso wahr wie der Satz "Maria, die Mutter Jesu, ist unmittelbar nach ihrem irdisch-physischen Tod ganzmenschlich in die ewige Verherrlichung eingegangen, d.h. in den Himmel aufgenommen worden. "Die neue Zeit" ist ein Ausdruck, mit dem Mensch und Welt im Zustande ihrer ganzen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und Existenz bezeichnet wird, unabhängig von der Frage und dem Urteil, ob und inwieweit darin Wert oder Unwert, Positives und Negatives begriffen werden. So wird niemand leugnen wollen, daß die moderne Technik auch ihre Schattenseiten hat, wie sowohl die Wohlstandsgesellschaft als auch die Umweltverschmutzung es deutlich machen.Von der Religion, von dem Christentum, vom Glauben aus gesehen, wird mit dem Ausdruck "die neue Zeit" jene Entwicklung in materieller und geistiger Hinsicht verstanden, wie sie die Wahrheit allgemein und Religion, Kirche und Glaube im besonderen in ihren Sog einfließen läßt.
So ist z.B. von dem katholischen Theologen Feiner in dem von 17 katholischen und 18 protestantisch-reformierten Theologen verfaßten "Neuen Glaubensbuch" die Wahrheit selbst als wandelbar bezeichnet und also abgewertet worden. Eine Aussage, die sich selbst aufhebt, da alsdann eben diese Behauptung wandelbar und also unwahr ist.
Die römisch-katholische Kirche wird zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort und unter keinen wie immer gearteten Umständen auch nur einen Satz ihrer Glaubenssubstanz zurücknehmen oder preisgeben. Wer immer für sich persönlich sich von einem ihrer Glaubenssätze, Glaubenswahrheiten distanziert, also auch nur einen dieser Glaubenssätze leugnet oder verwirft, stellt sich eben damit außerhalb der Kirche, ob gestern, heute oder morgen.
Davon wird klar, daß, wer auch nur einen Satz der katholischen Glaubenssubstanz ablehnt, verwirft, leugnet, sich von der Kirche abspaltet. Wenn nun, wie es geschehen ist und laufend geschieht, gewisse Theologen und ihnen hörige Journalisten oder auch Priester Teile der katholischen Glaubenssubstanz ablehnen oder leugnen, begeben sie sich außerhalb der katholischen Kirche oder spalten sich von ihr ab. Widersinnig aber wäre und ist es, zu behaupten, die an der katholischen Lehre festhaltenden Gläubigen würden sich abspalten und also sich einer Spaltung schuldig machen. Nicht sie sind die sich vom Glauben Abspaltenden, sondern die Neuerer, und ihre Abspaltung vollzieht sich vor unseren Augen. Sie ist längst Tatsache geworden.
Nun gibt es aber in der Kirche Roms Dinge, die nicht Dogma sind und darum einem Wandel unterworfen sein können. Dazu gehört vor allem die heilige Liturgie, insbesondere das, was sich auf die Feier der heiligen Liturgie bezieht. Bekanntlich ist im Anschlusse an das II. Vatikanische Konzil von der liturgischen Kommission und mit Billigung durch Papst Paul VI. der Novus Ordo für die Meßfeier erstellt und eingeführt worden. Diesbezüglich darf das Folgende nicht übersehen werden.
Zunächst hat das Bild der Einheit in der Kirche durch die Abschaffung der geschichtlichen Kirchensprache, des Lateinischen, an Wirksamkeit verloren. Hier haben die orientalischen orthodoxen Kirchen ein anderes Beispiel gegeben. Sie halten an ihrer "heiligen" Sprache fest, was auch bei der Begegnung Papst Pauls VI. mit dem Patriarchen Athenagoras dadurch zum Ausdruck gebracht wurde, daß letzterer dem Papste gegenüber eindringlich zu erkennen gegeben hat, wie sehr die Preisgabe der Kirchensprache sich als Verlust auswirken werde.
Dann aber ein Zweites: die heilige Eucharistie ist ein Geheimnis, das Mysterium fidei, wie Papst Paul VI. es klar und stark herausgestellt hat. Wenn in der jüdischen Religion der Name für Gott aus Ehrfurcht nicht öffentlich gebraucht bzw. genannt wurde; wenn in der Liturgie des Papstes Pius V., also in dem Ordo Missae des Tridentinums, der Kanon, der eigentliche Teil des Mysteriums, still gebetet wurde, geschah das in der Uberzeugung, daß dadurch das Heilige, das göttliche Geheimnis nicht der Sprache des Alltags preisgegeben, sondern in Ehrfurcht vom Opferpriester an Stelle des Opferpriesters Jesus Christus gehütet und bewahrt werde. Es geschieht keinesfalls zur Erbauung der Gläubigen, wenn heute gemäß dem Novus Ordo gerade der Kanon in der Volkssprache laut gebetet wird. Endlich ein Drittes. Die Abschaffung und also Zerstörung der auf dem ganzen katholischen Erdkreis festgehaltenen und gehüteten klaren und würdigen Einheit der Meßliturgie hat den Weg für Willkür, Experimente und eine Profanierung des Heiligsten freigemacht. Das Hofheimer Meßfestival bleibt kein Einzelfall. Ich habe selber vor ein paar Jahren in einer Sendung des Schweizer Fernsehens eine Gruppenmesse gesehen, bei der in fröhlicher Runde Erwachsene, zum Teil hemdsärmelig und "zechend", die Eucharistie feierten, für jeden noch irgend gläubigen Menschen ein Skandal, eine würdelose Provokation.
Vor wenigen Tagen ist mir der Bericht von einer skandalös-blasphemischen Liturgiefeier in die Hand gekommen. Hier der wörtliche Bericht: "Ein nachhaltiges Echo fand" in Wiesbaden — "der Stadtjugendgottesdienst am vergangenen Samstag in der Pfarrkirche St. Kilian (Samstag vor Fastnacht). Pfarrer Kauk begrüßte zum Festgottesdienst mit dem alten Weinspruch als Motto:
'Trink diesen Wein und sei so gut wie er!' In einem Gespräch suchten Jugendpfarrer Ernst Michael Braun, Susanne und Jörg Kerksieck und Rita Schinke die Bedeutung des Weines deutlich zu machen. Weinwitze und ein Ausschnitt aus der Predigt eines Weihbischofs Anfang des 18. Jahrhunderts über die Gefahren des Weines folgten. Jugendpfarrer Braun schloß mit den Worten: 'Wir wünschen Ihnen heute und in den nächsten Tagen viele gute Freunde und ein paar rassige Flaschen Wein. Ob sie dann Prosit oder Amen sagen, beides kann wie eine fruchtige Blume im Pokal eines frohen Herzens sein.' Frohe Lieder folgten, die von Kaplan W. Geis an der Orgel begleitet wurden. Mittelpunkt der Feier war das frohe Gedächtnismahl Jesu Christi. 'Auch Jesus hat offensichtlich den Wein geliebt, denn er hat auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt und nicht umgekehrt, was sich so manche Wasserapostel wünschen!'"
Wenn ich auch jetzt von diesen und ähnlichen Beispielen einer liturgischen Entgleisung, ja Verwilderung absehe, bleibt es eine Bedenken erweckende Tatsache, daß die Vergewöhnlichung, die Angleichung des Heiligsten an das Profane, Gemein-Alltägliche und Irdisch-Unheilige der Ehrfurcht im Herzen der Gläubigen Abbruch tut. Mit Recht schreibt Prof. Hoeres in seinem abschließenden Artikel zur ganzen Frage: "Heute erleben wir, wohin eine Glaubensverkündigung kommt, die sich diesem Massenzeitalter fast um jeden Preis in Ausdrucksform, Geschmack und Sprechweise anpassen will. Da heißt es in einer Kirchenzeitung — sinnigerweise zum Christkönigsfest — wir sollten doch den Königstitel Christi, für den im Zeitalter der Demokratie niemand mehr Verständnis habe, fallen lassen und Christus nur mehr als unseren Bruder bezeichnen. Selbst Gebetsformeln wie: 'Wir flehen Deine heilige Majestät an' sind durch das lapidare: 'Wir bitten Dich' ersetzt worden. Gottesdienste, in denen man sich dem Allerheiligsten mit plumper, hemdsärmeliger Vertraulichkeit nähert, sind Legion geworden...
All diese Versuche, die Zeitgenossen mit den Ausdrucksformen und der Sprache der Zeit zu erreichen, übersehen ganz einfach, daß die Menschen heute gerade deshalb nach der Frohbotschaft suchen und prinzipiell von ihr erreicht werden können, weil sie an der Unseligkeit und Sinnlosigkeit des Lebens in der totalen Produktionsgesellschaft, der Gleichmacherei und benalen Glanzlosigkeit, dem Leben ohne Fest und Feier, insgeheim leiden."
So sehr ich das alles in tiefem Ernst und aus innerster katholischer Überzeugung verstehe und vertrete, so sehr möchte ich betonen: Wo immer ein katholischer Priester die heilige Eucharistie nach dem von Papst Paul VI. gebilligten Novus Ordo im ganzen Glauben und in wahrer Ehrfurcht feiert — Beispiele dafür habe ich in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland erlebt —, ist das Meßopfer gültig und würdig. Das darf und muß das Volk wissen, da sonst wirklich guten Priestern bitteres Unrecht geschähe. Extreme sind immer irgendwie schädlich und widersprechen so oder so der Gerechtigkeit (subjektiv) und der Wahrheit (objektiv).
Etwas ganz anderes ist es um die aus Gewissensgründen gelebte Treue zur tridentinischen Liturgie des hl. Papstes Pius V. Das meint auch Prof. Hoeres, wenn er a.a.O. mit Bezugnahme auf die richtig verstandene kirchliche Autorität bemerkt: "Autorität könnte die Kirche werden, wenn sie der Zeit einmütig und kompromißlos den Spiegel vorhalten und gebieterisch für Gott das ihm Zustehende einfordern würde: also auch Opfer, Verzicht, Entsagung. Das würde der Jugend imponieren: der Andrang zum tridentinischen Priesterseminar in Ecône beweist es ebenso wie die Tatsache, daß trotz des bestürzenden Rückgangs der Priester- und Ordensberufe die ganz 'strengen' Orden noch den meisten Zulauf haben."
Darum ist es ein ganz übles Schauspiel, wenn vor dem gläubigen Volk gegen das Werk "Priesterbruderschaft Pius X." und das damit verbundene Priesterseminar Ecône eine häßliche Kampagne geführt wird. Aus diesem Priesterseminar gehen Priester hervor, die nicht nur total von dem Glauben der Kirche erfüllt sind, sondern in ihrer Einstellung zum Heiligsten der Kirche, zur heiligen Eucharistie und ihrer zentralen Opferfeier von beispielhafter Ehrfurcht und innerer Wärme geleitet werden.
Es wäre eine gefährliche Machenschaft, wollten progressistische Avantgardisten diese Bewegung einer innerkatholischen Spaltung beschuldigen. Im tiefsten Grunde und letzten Endes verdiente gerade diese Dank und Anerkennung, steht sie doch in allem dafür ein, daß das römisch-katholische Erbe nicht untergehe, sondern der Nachwelt erhalten bleibe. Hier das Wort "Spaltung" als Vorwurf zu gebrauchen, wäre nicht nur ein Hohn auf die so gerühmte Mitmenschlichkeit, sondern ganz üble Hetze.
In diesem Zusammenhang soll noch ein Wort zur Art und Praxis der Kommunionspendung gesagt werden. Persönlich halte ich es für ein Unglück, daß die Übung der Handkommunion eingeführt worden ist. Es ist denn auch Tatsache, daß dabei Papst Paul VI. von manchen Bischöfen gedrängt worden ist und er es gegen seinen Willen um des Friedens willen erlaubt oder vielmehr die Erlaubnis hiefür dem Gewissen und der Verfügung der einzelnen Bischöfe anheimgegeben hat. Dies hat mir der Schweizer Kardinal Benno Gut in persönlichem Gespräch gelegentlich einer Profeßfeier im Mutterhaus der Heilig-Kreuz-Schwestern von Cham (Schweiz) erklärt.
Was die Praxis der Handkommunion selber betrifft, so ist zu ihrer Beurteilung ein Zweifaches zu beachten: erstens, daß durch lange Jahrhunderte die "Hostie", das konsekrierte, in den Leib Christi gewandelte Brot, dem Kommunizierenden in die Hand gereicht wurde; zweitens, daß in späteren Jahrhunderten die Kirche zur Praxis der Mundkommunion übergegangen ist, und zwar aus dem einen Grund, die sich bei der Handkommunion mehrenden Sakrilegien zu stoppen. Allgemein sollte durch die Mundkommunion angedeutet werden, daß die eucharistische Speise — im Gegensatz zur irdischen Speise — vom Himmel kommt ("Brot der Engel").
Dem nun muß hier eine dritte Tatsache angefügt werden: Seitdem die Praxis der Handkommunion von der kirchlichen Autorität freigegeben worden ist, haben sich die Sakrilegien in beunruhigendem Maße vermehrt. Darum ist es verständlich, wenn in manchen Ländern (wie z.B. in Italien, in Polen, in den USA wie noch in anderen Teilen des katholischen Erdkreises) die Handkommunion untersagt ist (bzw. noch lange untersagt blieb). Falsch aber wäre es, zu behaupten, daß nicht auch die Handkommunion individuell in wirklicher Ehrfurcht empfangen werden kann. Hier bestimmte Menschen oder Gläubige, die den eucharistischen Heiland in die Hand empfangen, allgemein zu bezichtigen, wäre unchristlich und ein Unrecht. Ebenso ungerecht, ja häßlich ist es, wenn Gläubige, seien sie erwachsen oder Kinder, die aus Gewissensgründen und aus Ehrfurcht nur die Mundkommunion empfangen, darob verachtet, oder gar beschimpft oder (wie es immer häufiger, ja sogar von Priestern geschieht) in abstoßender Weise behandelt werden. Ich kenne Fälle, in denen der Priester einem Erstkommunionkind ob seines Verlangens der Mundkommunion in verabscheuungswürdiger Weise begegnet ist. Ich sage auch ganz offen: gerade am Weißen Sonntag sollten die Erstkommunionkinder angeleitet werden, den Heiland in den Mund zu empfangen. Wer heute Zeuge davon wird, wie gerade Schulkinder in ganz katholischen Gegenden von und zu dem Tische des Herrn gehen bzw. kommen, der mag in seinem Innersten erschüttert werden. Mich hat einmal vor zwei Jahren ein vornehmer und gebildeter Herr, Reformierter, auf der Straße gefragt – er hatte in der Kirche dem Gottesdienste beigewohnt: "Glauben Sie wirklich, Hochwürden, daß in den kommunizierenden Schulkindern irgendein Bewußtsein von Ehrfurcht wirksam war?" Jedenfalls hat das Ganze der Kommunionspendung in der Kirche, von der er Zeuge geworden war, in ihm einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen.
Wohl auch aus solchen Rücksichten und Bedenken hat Papst Paul VI. an höchsten Festtagen des Kirchenjahres niemals den eucharistischen Heiland in die Hand gereicht. Bedauerlich ist, daß durch die Neueinführung bzw. Erlaubnis der Handkommunion bis tief in die Familien hinein Uneinigkeit entstanden ist und laufend entsteht.Ganz und gar unchristlich aber ist es, jene Katholiken und Gläubigen, die aus Gewissensgründen an dem Empfange der Mundkommunion festhalten, abschätzend zu behandeln oder gar sie der "Spaltung" im Gottesvolke zu beschuldigen. Auch da könnte oder müßte man in diesem Falle fragen: "Wer hat die Spaltung verursacht, die der Tradition Treugebliebenen oder die Neuerer?"
Und vergessen wir nicht: Das heiligste Sakrament des Altars und mit ihm der Empfang des eucharistischen Gottes ist das "Mahl der Liebe".
Hier noch ein Wort über die Verkündigung des Evangeliums. Prof. Hoeres stellt mit Recht fest: "Vor einem teils ungläubig entsetzten, teils gleichgültig bis befremdeten, teils hämisch amüsierten Publikum wird das, was früher als heilig und unverbrüchlich galt, in Frage gestellt, neu und anders interpretiert, als antiquiert abgelehnt und überlegen kritisiert."
Die Verkündigung des Wortes Gottes – das soll die Predigt in der Kirche sein – ist weitgehend auf Abwege gekommen. Man kann heute fast überall in Predigten Dinge zu hören bekommen, die nicht oder doch nicht in dem Maße und in der Weise, wie es geschieht, zum Worte Gottes gehören: abgesehen davon, daß Prediger vielfach über die katholische Vergangenheit herfallen und den Zuhörern die Ohren und das Herz vollreden von Neuerungen und Wandlungen und Fortschritt, wird die Predigt, die Sonntagspredigt von Pfarrern, Vikaren und Kaplänen benutzt zu soziologischen, wenn nicht sozialistischen Ausgrasungen oder wieder zu sensationellen Exkursen über Naturwissenschaft, wobei dann der Schöpfergott und die Erschaffung des Menschen und seiner unsterblichen Seele in einer nachgeredeten Pseudowissenschaft untergehen. Zudem wird der Mensch, nicht mehr der Herrgott, in den Mittelpunkt des "Gespräches" gerückt.
Dazu kommt ein anderes: Die für Optimismus typisch anfällig gewesene Literatin Friderike Görres – siehe ihre Sympathie für den von ihr philosophisch nicht verstandenen Modephilosophen Teilhard de Chardin! – hat einmal den Ausspruch getan: der Heilige Geist werde "seinen eigenen Pfingstausbruch, die große Verheißung des Konzils, nicht im Stiche lassen". Inzwischen erleben wir die Auslöschung des Geistes Gottes in der Kirche. Ein diesseitiger Zukunftsoptimismus wird in Wort und Schrift, in Predigten und Kirchenblättern dem Volke vorgegaukelt, indessen dieses Volk für die Prüfungen des Lebens und das Übermaß an physischem und seelischem Elend und einer moralischen Zerrüttung Halt und Trost brauchte. "Gott hat die Schrecken zweier Weltkriege zugelassen, ja das 'unendliche Leid der Weltgeschichte', von dem Hegel, die Linken und Liberalen viel mitfühlender sprechen als unsere progressiven Theologen, die – statt Tröster zu sein – diese Welt umarmen und utopische Hoffnungen wecken" (Hoeres a.a.O.). Das Evangelium wie überhaupt die Heilige Schrift führt in dem Großteil der Predigt von heute ein Betteldasein, – was freilich verständlich wird, wenn man weiß, daß die Texte der Bibel von neomodernistischen und progressiven Theologen in eingebildetem Selbstdünkel ausgehöhlt, abgewertet, umgedeutet, wenn nicht überhaupt als Mythos und Mär "entpuppt" worden sind. Daß sich diese selbstherrlichen Theologen und Professoren nicht vor dem gläubigen und Bekenntnisprotestantismus schämen!
Wir haben in der katholischen Kirche die Heiligen. Wie lebensnahe und in die Seele greifend redet(e) ein P. Dr. H. Suso Braun, ein Sohn des heiligen Franziskus, von diesen Großen der Kirche; wie tiefschürfend und psychologisch wie geschichtlich ausschöpfend hat der reformierte Historiker und Professor Walter Nigg in seinen Büchern über die Heiligen der katholischen Kirche geschrieben! Für den nachkonziliaren Progressismus sollen die Heiligen einen falschen Weg gegangen sein ... Ich frage: Wer spaltet in der Kirche? Für den Geist, für das Gebet, für
die Opfer der Heiligen haben die "Neuerer" in der Kirche keinen Sinn mehr, – sie waren ihnen zu demütig. Im irdischen Luxus oder Gemüsegarten des progressistischen Stolzes hat Demut keinen Platz mehr.
Was aber noch ungleich schlimmer ist: der Neomodernismus und Progressismus will die Mysterien des Glaubens "aufklären", was bei ihrem Bankrott an Ehrfurcht ja auch verständlich ist. Treffend schreibt wiederum Hoeres darüber: "Haben nicht die großen Theologen aller Zeiten gelehrt, daß die Glaubenswahrheiten unfaßbare, unergründliche Geheimnisse bleiben? Niemals zuvor in der Kirchengeschichte – selbst nicht in der ersten Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts – hat man sich so beflissen bemüht, diesen Geheimnischarakter zu eliminieren und so die Geheimnisse durch Interpretation und Verdünnung unserem armseligen Verständnis plausibel zu machen. Niemals hat sich das auch so rasch und katastrophal als völliger Fehlschlag herausgestellt. Es geht doch nicht um neue Formulierungen, sondern darum, daß aus der 'Jungfrau' Maria die 'junge Frau' wird, aus der 'ewigen Seligkeit' ein zwischen Himmel und Erde schwer zu lokalisierendes 'Glück', aus der Auferstehung die Tatsache, daß Jesus – wie auch immer – weiterlebt und seine Sache weitergeht, aus der Kirche als dem mystischen Leib Christi, eine religiöse Vereinigung im Namen Christi, aus dem Weiterleben der getrennten Seele nach dem Tode etwas, das einfach ignoriert wird, aus dem unauslöschlichen Siegel, das der Weihekandidat in der Priesterweihe empfängt, die simple Tatsache, daß er neu in die Pflicht genommen oder auf eine ganz neue Weise engagiert wird." Das Resultat: Abbruch, Zerstörung, Auflösung des Glaubens, ohne den die Gotteshäuser buchstäblich zu Komödienstadeln werden.
Demnach haben sich im Neomodernismus-Progressismus die Formen, der Geist und die Sprache gewandelt: "Man will dem berühmten 'einfachen Gläubigen' entgegenkommen, indem man mit Gott, dem Allmächtigen, im Gottesdienst in der gleichen banalen und entstellten Alltagssprache verkehrt, deren sich auch Boulevardzeitungen und die Produktionswelt bedienen und irritiert sie durch diesen Widerspruch nur noch tiefer. Man will neue Formen der Verehrung und Frömmigkeit schaffen und liquidiert dazu die naheliegenden, die sich als natürliche Formen der demütigen Gebärde und des inständigen Gebetes in Jahrhunderten herausgebildet haben. Was die Neutöner damit 'erwecken', ist allenfalls achselzuckende Verwunderung und die kurzlebige Begeisterung einer 'gewissen' Jugend für alle neuen Experimente, die aber nach allen Erfahrungen der letzten Jahre keineswegs geeignet ist, neue Ganzhingabe für Christus zu begründen. Zusammenfassend ist zu fragen: Ist es nicht ein tragisches Mißverständnis, wenn man alles Erhabene, Feierliche, Getragene, alle Ahnung der Majestät und Größe Gottes, aus der Lehrverkündigung, der Liturgie und dem Leben der Kirche verbannen will, weil unsere Zeit nur noch die graue Banalität kennt? Dabei sehen wir ganz ab von der Verpflichtung der Kirche, nicht nur das Kreuz und die Knechtsgestalt des Erlösers, sondern auch Gottes Majestät, die Königsherrschaft Christi und seinen Triumph zu verkünden und in ihrem gottesdienstlichen Leben darzustellen" (Walter Hoeres).
Der große Papst Pius XII. hat von der modernen Krichenverfolgung gesagt, daß sie schrecklicher sei als die zu Zeiten Diokletians. Und Ortega y Gasset gibt für die "neue Zeit" die Diagnose, daß die Massen sich nicht länger den Eliten des Geistes und der Kultur unterordnen, sondern selber nun den Massengeschmack zur Norm erheben für das, was gut, gerecht und vernünftig sein soll. Daß heute in der Kirche auch von unten regiert wird, beweist der Verlauf mancher der sogenannten Synoden. Menschliche Anmaßung gegen göttliches Recht.
Walter Hoeres zeichnet die Essenz der neuen Zeit mit den folgenden Worten: "Wir müssen endlich wieder den Mut finden, offen zu sagen, daß unsere so hochgepriesene 'moderne Zeit' das Produkt eines jahrhundertelangen, sich immer noch konsequent fortsetzenden Abfalls von Gott und seiner Kirche ist. Unsere Epoche ist das Ergebnis der Aufklärung, die sich entschlossen abwandte von der Offenbarung. Sie ist das Ergebnis der französischen Revolution, die eine Hure auf den Altar von Notre Dame setzte und damit außerordentlich treffend ihr Selbstverständnis bekundete." Diese Hure war Symbol der Göttin Vernunft.
Die größte Irrlehre des nachkonziliaren Progressismus ist, daß an Gottes Stelle der Mensch gesetzt wurde und – an die Stelle der Offenbarung Gottes die autonom gewordene Vernunft. Johan Christoph Hampe, Priester und Progressist, hat es deutlich gesagt: Den transzendenten Gott können wir abschreiben, und "daß die Erde" durch die Vernunft ihrer Menschen "ihr Leben weiterbringe und menschlicher werde, ist der neuen Frömmigkeit christliches Engagement im Ganzen und Großen wie im Einzelnen und Kleinsten".
Ich schließe mit dem "Confiteor" des großen englischen Konvertiten und Kardinals John Henry Newman, dessen Demut so groß war wie seine Wissenschaft: "Herr, Du hast eine ganze Ewigkeit in unaussprechlicher Seligkeit gelebt, weil Du schon allein der Vollkommene bist, nur Du. Zu einer Zeit begannen die geschaffenen Geister da zu sein; Du schufest sie, daß sie bei Dir seien und nach ihrem Maße an Deiner Seligkeit teil hätten. Doch ihrer Bestimmung entgegen, erhoben sie sich. Zuerst war es ein Teil der Engel, dann die Menschheit. Sie erhoben sich wider Dich und dienten andern statt Dir. Wozu sonst hast Du uns geschaffen, als um uns glücklich zu machen? Konntest Du glücklicher werden, indem Du uns schufest? Und worin sonst könnten wir glücklich sein, als im Gehorsam zu Dir? Jedoch, wir wollten nicht glücklich sein
auf den Wegen, die Du uns zugedacht, sondern wir wollten unser Glück auf unseren eigenen Wegen finden, und so verließen wir Dich. Mein Gott, wie vergelten wir Dir – wie vergelte ich Dir –, wenn wir sündigen! Welch entsetzlicher Undank!" (in "Betrachtungen über die christliche Lehre", IV, 37).
Selber habe ich am Schlusse von "Bekenntnis" niedergeschrieben: "Man redet heute, in der 'neuen Zeit', viel von Anpassung, von Koexistenz, von einer neuen Mitmenschlichkeit. Darunter versteht man nicht nur das von der Liebe geprägte Verhältnis von Mensch zu Mensch – es ist urchristlich, sondern es geht dabei zugleich um eine Nivellierung weltanschaulicher Gegensätze, um die Relativierung der Wahrheit, um die Koexistenz im Sinne von 'Gleich zu Gleich'. Der Diabolos, der 'Durcheinanderwerfer', ist am Werk, ja er feiert wahre Triumphe. Brüderlichkeit droht zu einer Verbrüderung der Ideen, Mitmenschlichkeit zu einem Allheil-Humanismus zu werden. Ist das nicht Verrat an der Botschaft Christi? Christus hat gesagt: 'Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.' Man erkennt den Atheismus als Weltanschauung an und erhofft – Heil davon, mit den Atheisten 'ins Gespräch zu kommen'. Wäre der Glaube eine Sache der bloßen Vernunft, möchte ich halbwegs Optimist sein; nun aber ist der Glaube auch Gnade, darum ist mir das Gebet einer schlichten Seele oder eines Kindes die stärkere Hoffnung."
HH Prof. Albert Drexel (+)
Zuerst veröffentlicht in «DAS ZEICHEN MARIENS», 23. Jahrgang, Nr. 2, Juni 1989, Seiten 7205 ff.

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