Und nocheinmal anders kann man den Christen vom Nichtchristen unterscheiden:
Gott ist die Liebe. Und all sein Sein und Wirken ist nichts als LIEBE. Und ALLES, was aus Ihm hervorgeht, ist LIEBE. Wer also die(se) Liebe hat und in der (in dieser) Liebe bleibt, der ist aus Gott und bleibt in Gott, ist also Geschöpf und Kind Gottes und damit kern- und wesenhaft CHRIST.
Der hl. Kirchenvater Augustinus hat in der Osterwoche des Jahres 416, also „auf dem Höhepunkt seiner bischöflichen Wirksamkeit und seines geistigen Lebens", in der Kathedrale zu Hippo (Nordafrika) eine Reihe von Predigten über den ersten Johannesbrief gehalten, die zum Schönsten gehören, was wir vom diesem großen lateinischen Kirchenlehrer besitzen. Sie behandeln sein Lieblingsthema, den Zentralgegenstand seiner ganzen Theologie: die Liebe, die Caritas.
Vielleicht die wertvollste dieser Predigten ist die fünfte, der die folgende Auswahl entnommen ist. Ich entlehne sie der Übersetzung von Dr. Fritz Hofmann, der vor Jahrzehnten die Predigten des hl. Augustinus über den ersten Johannesbrief unter dem Titel „Gott ist die Liebe" als Band der Sammlung „Zeugen des Wortes" herausgegeben hat. Da es sich dabei um einen Kommentar des Textes der johanneischen Epistel handelt, schicke ich die in Betracht kommenden Abschnitte nach der Übersetzung von Rösch voraus:
«Wer aus Gott geboren ist, tut keine Sünde. Sein Lebenskeim bleibt in ihm. Er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist. Daran erkennt man die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Wer das Rechte nicht tut, ist nicht aus Gott. Ebensowenig, wer seinen Bruder nicht liebt. Das ist ja die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt: Wir sollen einander lieben. Nicht wie Kain, der vom Bösen herkam und seinen Bruder erschlug. Und warum erschlug er ihn? Weil sein Tun böse war, das seines Bruders aber gerecht. Wundert euch nicht, Brüder, wenn die Welt euch haßt. Wir wissen, daß wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer keine Liebe hat, bleibt im Tode. Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Mörder. Und ihr wißt, daß kein Mörder das ewige Leben in sich trägt. – Daran haben wir die Liebe Gottes erkannt, daß er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir das Leben für unsere Brüder hingeben. Wer die Güter der Welt besitzt und seinen Bruder Not leiden sieht, und doch sein Herz vor ihm verschließt: wie kann in dem die Liebe Gottes wohnen? Kinder, laßt uns nicht mit Worten und mit der Zunge lieben, sondern in der Tat und in der Wahrheit!» (1 Jo. 3,9-19)
Dazu nun der Kommentar, die Auslegung des hl. Augustinus:
Dieser (Johannes-) Brief, der allen köstlich ist, deren Herz einen gesunden Geschmack hat, Gottes Brot zu schmecken, und der in der heiligen Kirche Gottes in hohem Ansehen steht, legt besonders die Liebe ans Herz. Von nichts anderem fast spricht er ja als von der Liebe. Wer ein inneres Organ zum Hören hat, wird mit Freude darauf horchen müssen. So wird diese Lesung ihm sein wie Öl ins Feuer. Wenn da etwas ist, das genährt werden kann, dann erhält es Nahrung und wächst und bleibt. Desgleichen soll es für manche so sein wie Feuer auf den Zunder, so daß er, wenn er vorher nicht brannte, durch die Predigt entzündet wird. Denn bei den einen findet Nahrung, was bereits da ist, bei den andern wird entflammt, was noch fehlt, so daß wir alle in einer einzigen Liebe unsere Freude finden. Wo aber die Liebe ist, da ist der Friede; und wo die Demut ist, da ist die Liebe. So wollen wir ihn jetzt hören und auch zu euch über seine Worte reden, was der Herr eingibt, auf daß ihr sie recht versteht.
Die Liebe also empfehlen wir; die Liebe empfiehlt dieser Brief. Nur um das eine fragt der Herr nach der Auferstehung den Petrus: „Liebst du mich?“ Und es war ihm nicht genug, einmal zu fragen; ein zweites und ein drittes Mal stellt er keine andere Frage. Obgleich Petrus die dritte Frage als Kränkung empfand, als wollte er ihm nicht glauben, als wüßte er nicht, was in ihm vorging, fragte er ihn dennoch ein erstes, zweites, drittes Mal. Dreimal verleugnete die Furcht, dreimal bekannte die Liebe. Siehe, Petrus liebt den Herrn. Was wird er ihm geben? Beunruhigt nicht auch ihn jenes Psalmwort: „Was soll ich dem Herrn vergelten für alles, was er mir getan hat?" Der Sänger des Psalmes dachte nämlich daran, wieviel Gott ihm gegeben hatte; und er fragte, wie er es Gott vergelten sollte, und fand keine Antwort. Alles, womit du ihm vergelten willst, hast du ja von ihm empfangen, um es ihm zu geben. Und was fand er zur Vergeltung? Wir sagten es schon, Brüder, was er von ihm empfangen hatte, das fand er als Gegengabe. „Den Kelch des Heiles will ich ergreifen, und den Namen des Herrn will ich anrufen" (Ps.115,12f). Denn wer sonst hatte ihm den Kelch des Heils gegeben als der, dem er vergelten wollte? Den Kelch des Heils ergreifen und den Namen des Herrn anrufen, das heißt aber an der Liebe sich sättigen und sich in einem solchen Maße sättigen, daß du den Bruder nicht nur nicht hassest, sondern bereit bist, für den Bruder zu sterben. Das ist die vollkommene Liebe, daß du bereit bist, für den Bruder zu sterben. Diese Liebe hat der Herr für seine eigene Person getätigt, da er für alle starb und für seine Kreuziger betend die Worte sprach: „Vater, verzeihe ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun" (Luk 23,34). Aber er war nicht der Meister, wenn er allein dies tat, wenn er keine Schüler hatte. Es folgten ihm die Schüler und handelten ebenso. Gesteinigt wurde Stephanus und betete gebeugten Knies: „Herr, rechne es ihnen nicht zur Sünde an!" (Apg. 7,59). Er liebte die, von denen er getötet wurde, weil er ja sogar für sie starb. Höre auch den Apostel Paulus: „Ich selbst will mich hingeben für euere Seelen" (2 Kor. 12,15). Er war ja unter denen, für die Stephanus Fürbitte eingelegt hatte, als er durch ihre Hand starb. Das also ist die vollkommene Liebe. Wenn einer so große Liebe hat, daß er bereit ist, für den Bruder sogar zu sterben, dann ist die Liebe in ihm vollkommen. Ist sie aber, sobald sie entsteht, auch schon ganz vollkommen? Nein! Damit sie vollkommen werde, wird sie geboren; ist sie geboren, wird sie genährt; durch die Nahrung wird sie gekräftigt; wenn sie gestärkt ist, dann wird sie vollendet. Wie aber spricht sie, wenn sie vollkommen geworden ist? „Leben ist für mich Christus und Sterben Gewinn. Ich wünschte aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein; denn das ist bei weitem das Bessere. Das Verbleiben aber im Fleisch ist notwendig um euretwillen" (Phil. 1,21,23f). Um derentwillen, für die er bereit war zu sterben, wollte er leben.
(Ist die Deutung des Wortes, daß „jeder der aus Gott geboren ist, keine Sünde tut“, auf die Liebe, bzw. die Sünde gegen die Liebe auch nicht willkürlich, sondern sachlich begründet?) Möge also Johannes uns belehren, welche Sünde er meint, damit nicht etwa nur ich aufs geratewohl erkläre, daß diese Sünde in der Verletzung der Liebe liege, weil er vorher sagte: „Wer seinen Bruder haßt, ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat" (2,11). Vielleicht weist Johannes im Folgenden ausdrücklich auf die Liebe hin. Seht, daß jener zusammengehörige Textabschnitt dieses Ende hat, diesen Ausgang nimmt: «Jeder, der aus Gott geboren ist, sündigt nicht; denn sein Same bleibt in ihm.» Der Same Gottes ist das Wort Gottes, weshalb der Apostel sagt: «Durch das Evangelium habe ich euch gezeugt» (1 Kor. 4,15). «Ja, er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.» Sage er also und sehen wir, worin er nicht sündigen kann! «Darin sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar: Jeder, der nicht gerecht ist und der seinen Bruder nicht liebt, ist nicht von Gott» (3,9f). Jetzt ist es offenbar, weshalb er sagt: «Wer seinen Bruder nicht liebt.» Die Liebe allein scheidet die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels. Mögen alle mit dem Zeichen des Kreuzes sich bezeichnen; mögen alle antworten Amen; mögen alle Alleluja singen; mögen alle getauft werden, in die Kirche eintreten - der Unterschied zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels liegt einzig in der Liebe. Die die Liebe haben, sind aus Gott geboren; die sie nicht haben, sind nicht aus Gott geboren. Ein großes Zeichen, eine große Unterscheidung! Habe, was immer du willst. Hast du dies eine nicht, nützt es dir nichts; wenn du anderes nicht hast. So habe nur dies, und du hast das Gesetz erfüllt. «Denn wer den Nächsten liebt, der hat das Gesetz erfüllt», sagt der Apostel und: «Die Fülle des Gesetzes ist die Liebe» (Röm.13,8.10). Ich glaube, daß das die Perle ist, die der Kaufmann nach der Schilderung des Evangeliums gesucht hat, jene Perle, die er fand und für die er alles verkaufte, was er hatte, und die er erwarb (vgl. Matth.13,46). Das ist die kostbare Perle, die Liebe, ohne die dir nichts nützt, soviel du auch hast; und die dir genügt, wenn du sie und sonst nichts besitzest. Jetzt siehst du im Glauben, dereinst wirst du in der Schau sehen. Denn wenn wir lieben, wo wir nicht sehen, wie werden wir erst umfangen, wo wir sehen?
Aber wie müssen wir uns darauf üben? Durch die Bruderliebe. Du kannst mir sagen: Ich habe Gott nicht gesehen! Kannst du mir etwa auch sagen: Ich habe den Menschen nicht gesehen? Liebe den Bruder! Denn wenn du den Bruder, den du siehst, liebst, wirst du zugleich auch Gott schauen; denn du wirst die Liebe schauen, und in ihrem Innersten wohnt Gott.
«Wer nicht gerecht ist und wer seinen Bruder nicht liebt, ist nicht aus Gott. Denn das ist die Kunde» – höre, wie er es bekräftigt: «Denn das ist die Kunde, die wir von Anfang an vernommen haben, daß wir einander lieben sollen» (3,10f). Er macht es uns vollkommen klar, daß er mit Bezug darauf sagt: Wer gegen dieses Gebot handelt, der ist in jener verwerflichen Sünde, in die solche nicht fallen, die aus Gott geboren werden.
«Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt haßt» (3,13). Wie oft muß ich es euch noch sagen, was die Welt ist? Die Welt in schlechtem Sinn sind jene, die die Welt lieben; die Welt in gutem Sinn sind Himmel und Erde und was an Werken Gottes darin ist. Darum heißt es: «Und die Welt ist durch ihn gemacht worden» (Joh. 1,10). Ebenso ist die Welt die ganze Erde, wie Johannes sagt: «Der Versöhner ist er nicht nur für unsere Sünden, sondern für die der ganzen Welt» (2,2). „Welt" meint hier alle Gläubigen, die über den Erdkreis hin verstreut sind. Die Welt in schlechtem Sinn aber sind die, welche die Welt lieben. Die die Welt lieben, können den Bruder nicht lieben.
«Wenn uns die Welt haßt, so wissen wir» -was wissen wir?: «Daß wir vom Tode zum Leben übergegangen sind.» Woher wissen wir es? «Weil wir die Brüder lieben.» Niemand frage einen andern Menschen, jeder halte Einkehr in sein Herz! Wenn er dort die Bruderliebe findet, so sei er ohne Sorge; denn er ist vom Tod zum Leben übergegangen. Schon ist er auf der rechten Seite; nicht achte er darauf, daß seine Herrlichkeit jetzt verborgen ist; wenn der Herr kommt, dann wird das Leben in Herrlichkeit erscheinen. Schon jetzt besitzt er das Leben, aber noch wie im Winter. Die Wurzel ist voll Lebenskraft, aber die Zweige sind gleichsam noch dürr; innen ist das Mark, in dem der Saft quillt, innen sind die Blätter der Bäume, innen die Frucht; sie warten nur auf den Sommer. Also «wissen wir, daß wir vom Tode zum Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, der bleibt im Tode» (3,14). Glaubt nicht, Brüder, daß es nicht darauf ankomme, zu hassen oder nicht zu lieben; hört noch, was folgt: «Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder.» Wird also einer, der seinen Bruder nicht achtet, auch den Menschenmord in seinem Herzen schon gering achten? Er rührt die Hand nicht, um einen Menschen zu töten, und schon wird er vom Herrn für einen Mörder gehalten; jener lebt, und dieser wird bereits als Mörder verurteilt. «Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder; und ihr wißt, daß kein Mörder das ewige Leben hat, das in ihm bleibt» (3,15).
«Daran erkennen wir die Liebe», die Vollkommenheit der Liebe meint er, jene vollkommene Liebe, die wir euch ans Herz gelegt haben; «Darum erkennen wir die Liebe, daß jener für uns sein Leben eingesetzt hat; und so müssen auch wir das Leben für unsere Brüder einsetzen» (3,16). Nun sieh den Sinn des «Petrus, liebst du mich? Weide meine Schafe!» Damit ihr wißt, daß er nach seinem Willen seine Schafe so leiten sollte, daß er sein Leben für sie einsetzte, fügte er sogleich hinzu: «Da du ein Jüngling warst, gürtetest du dich selbst und gingest, wohin du wolltest; wenn du aber älter geworden bist, wird ein anderer dich gürten und wird dich bringen, wohin du nicht willst. Das aber sagte er – bemerkt der Evangelist –, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde" (Joh. 21,156), um den zu lehren, daß er sein Leben für seine Schafe einsetzen müsse, zu dem er gesagt hatte: «Weide meine Schafe».
Wo aber nimmt die Liebe ihren Anfang, Brüder? Worin sie vollendet wird, das habt ihr gehört. Ihr Ziel und Maß hat der Herr selbst im Evangelium nahegelegt: «Eine größere Liebe hat niemand, sagt er, als daß er sein Leben hingibt für seine Freunde» (Joh. 15,13). Ihre Vollendung also zeigt er im Evangelium. Doch ihr fragt euch: Können wir je diese Liebe haben? Verzweifle nicht vorschnell! Vielleicht ist sie schon geboren, aber nur noch nicht vollendet; nähre sie, damit sie nicht ersticke! Doch du wirst mir sagen: Woher kann ich das wissen, daß sie in mir schon geboren ist? Von der Vollendung der Liebe haben wir gehört; vernehmen wir nun ihren Anfang! Johannes fährt fort mit den Worten: «Wer aber die Güter der Welt hat und seinen Bruder hungern sieht und sein Herz vor ihm verschließt, wie wird die Liebe Gottes in ihm bleiben können?» (3,17) Siehe da, wo die Liebe ihren Anfang nimmt! Wenn du noch nicht bereit bist, für den Bruder zu sterben, so solltest du doch schon bereit sein, dem Bruder von deinen Gütern mitzuteilen. Möge die Liebe dein Herz bewegen, daß du nicht aus Ruhmsucht, sondern aus lauterster Barmherzigkeit handelst, daß du ihn rein in seiner Bedürftigkeit siehst. Denn wenn du dem Bruder nicht einmal von deinem Überfluß geben kannst, kannst du dann für ihn dein Leben einsetzten? An deinem Busen birgst du das Gold, das dir Diebe stehlen können; und wenn es nicht Diebe wegnehmen, wirst du es im Tode lassen müssen, auch wenn es dich bei Lebzeiten nicht verläßt. Was wirst du also tun? Es hungert dein Bruder, er befindet sich in einer Notlage; vielleicht ist er in großer Verlegenheit, von einem Gläubiger bedrängt; er besitzt selbst nichts, du hast etwas: Dein Bruder ist er; zumal seid ihr erkauft um den nämlichen Preis, beide seid ihr durch das Blut Christi erlöst; sieh, daß du dich seiner erbarmst, weil du weltliche Güter hast! Was geht das mich an?, sagst du vielleicht. Soll ich mein Geld hingeben, damit jener vor einer Unannehmlichkeit bewahrt bleibt? Wenn dir dein Herz so antwortet, dann bleibt die Liebe des Vaters nicht in dir. Wenn die Liebe des Vaters nicht in dir bleibt, bist du nicht aus Gott geboren. Wie kannst du dich da rühmen, ein Christ zu sein? Den Namen hast du wohl, die Taten hast du nicht. Wenn du aber mit dem Namen die Tat verbindest, dann mag einer dich einen Heiden schelten, du erweisest dich durch die Tat als Christ! Denn wenn du dich nicht im Werk als Christ erweisest, mögen alle dich einen Christen nennen, was nützt dir der Name, wo dir die Wirklichkeit fehlt? «Wer aber die Güter der Welt hat und seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz vor ihm verschließt, wie kann die Liebe Gottes in einem solchen bleiben?» Und Johannes fährt fort: «Kindlein, nicht nur im Worte und nicht bloß mit der Zunge laßt uns lieben, sondern in der Tat und in der Wahrheit!» (3,18)
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