Dienstag, Juni 19, 2007

Der Gott-Mensch Jesus Christus - (1)

Als Vergilius (gestorben im Jahre 19 vor Christus) in seiner vierten Ekloge ("Idylle") sang: "Schon nahe das letzte Weltalter des sibyllinischen Liedes, von vorne beginne der mächtige Kreislauf der Jahrhunderte wieder, es werden getilgt die Spuren unserer Verschuldung und die Erde erlöst von immerwährendem Schrecken, etwas Neues, etwas Großes komme aus den Höhen herab" - so war dies sicher nicht nur ein dichterischer Einfall. Denn eine allgemeine Vorstellung und Erwartung einer Erlösung, einer Wiedergeburt der lebensmüden Menschheit hielt das ganze Volk Israel in Spannung und selbst die Heiden des weiten Römerreiches standen der Idee einer nahenden himmlischen Hilfe aus allem materiellen und geistigen Elende nicht nur nahe, sondern mit sehnsüchtiger Hoffnung gegenüber. Die Götter hatten abgewirtschaftet, ausgehaust - man ersehnte den Gott; die "Fülle der Zeit" drängte die gottesbedürftige Menschheit dem Kommenden entgegen.

Die Religion befriedigte nicht mehr, die Philosophie entbehrte des richtigen Trostes; die Menschheit lechzte nach Licht, Wahrheit und Leben von der Themse bis zum Indus. Stille, fromme Betrachter der Offenbarung waren mit dem Gedanken der Menschwerdung vertraut ohne Philosophie; die Aussprüche der Propheten, die Ahnungen der Sibyllen, die Andeutung der Seher, Dichter und Weisen, alles verkündigte die Ankunft eines Allretters, mit dem eine neue Zeit des Heiles für alle Völker des Orbis Romanus, des Erdbodens, anbrechen würde. Die Bürgertugend des heidnischen Altertums war zu Grabe getragen, die Welt lag in Sünden und Lastern und an den notwendigen Folgen derselben, innerem und äußerem Elende mit Hoffnungslosigkeit, darniedergebeugt, selbst Palästina, das heilige Land des Volkes Gottes, nicht ausgenommen. Jehova thronte noch auf Moria und Opferwolken umhüllten sein Heiligtum und ihn selbst, denn er schien Israel vergessen zu haben, er sprach seit Jahrhunderten nicht mehr zu seinem Volke, weil er sein "Wort" selber bald herabsenden wollte.

Josephus Flavius, der Weissagungshändler zugunsten der Römer, der die Hoffnungen Jakobs und Judas auf Rom und seine Weltmacht übertrug, bestätigt das Gespanntsein seines Volkes auf das bevorstehende Kommen des Schilohs, auf die Erscheinung Dessen, dem die Völker entgegenharrten. Titus Livius, der ernste Historiker, erklärte Rom, "das für die Ewigkeit gebaute Rom", als zukünftige Residenz einer neuen Macht, eines neuen Priestertums, eines neuen Völker- und Menschheitsrechtes; Cicero ahnte jenes Reich mit dem ewigen Gesetze göttlichen Charakters, dem binnen kurzem die Menschheit unterstehen würde; die Stoiker und Platoniker erwarteten ein neues glückseliges Zeitalter mit Anfang des großen Weltjahres; und Sueton und Tacitus erinnern an die alte und beständige Meinung (vetus et constans opinio), daß demnächst eine geheimnisvolle Weltmacht von Judäa ausgehen sollte. (Suet. Vesp. 4. Tacit. V, 13; XIV, 22; Heyne, Annot, in Virgil. I. p. 96; Eus. Vit. Const. V. i. e. Const. or. c. 19. 20.)

In der Tat, so spricht Gott: "Siehe! Das Vorige ist gekommen und Neues verkündige ich; noch eh' ein Keim sich zeigt, tue ich es euch zu wissen... Siehe nun, ich wirke Neues; schon ist es im Entwickeln, ihr werdet es wohl erfahren... Dieses Volk habe ich zu meiner Verherrlichung erschaffen, gebildet und gemacht - es wird mein Lob verkünden. Und nun höre, Jakob, mein Knecht, und Israel, den ich erkor! Ich will meinen Geist über deinen Samen gießen und meinen Segen über dein Geschlecht. Fürchtet euch nicht! Habe ich es nicht schon lange euch eröffnet und vorausgesagt? Ihr seid meine Zeugen... Tauet ihr Himmel von oben herab, die Wolken mögen regnen den Gerechten; die Erde tue sich auf und sprosse den Heiland. Ich, der Herr, schaffe ihn. Wie die Morgenröte bereitet sich der Ausgang... Ich habe bei mir selbst geschworen, aus meinem Munde geht nur Richtiges, ein Wort, das nie zurückgenommen wird: Mir wird jedes Knie sich beugen, schwören jede Zunge!... Jauchzet ihr Himmel! denn der Herr hat Barmherzigkeit getan; jubelt ihr Enden der Erde, erschallet von Lob ihr Berge, du Wald und alle Bäume darin, denn der Herr erlöst Jakob und zeigt sich herrlich an Israel!" (Is. 42; 43; 44; 45.)

Was Heidentum und Judentum negativ und positiv zur Anbahnung der neuen Zeit und zur Vorbereitung auf Christus nach dem göttlichen Weltplan leisten sollten und konnten, war erreicht. Niemals sehnte sich die Menschheit mehr nach der Religion des Geistes und der Wahrheit; Juden und Heiden, die sich sonst so schroff gegenüber gestanden, hatten sich bei dem allgemeinen Gefühle der äußeren Bedrückung und inneren Zerrüttung einander genähert - der Orbis Romanus, das römische Reich, umschloß ja fast die ganze damals bekannte Welt und Friede herrschte allüberall, außer in den Gemütern und Seelen und Geistern. Denn Finsternis bedeckte die Erde, Seelenfinsternis, und Dunkel, Herzensdunkel, die Völker (Is. 60,2.) - da erschien in der Wüste des Judenlandes ein seltsamer Mann, ein Bußprediger, ein Prophet, ein Ankündiger des Erwarteten, ein Bote des neuen Reiches und sprach von einem Großen, Mächtigen, immer Gewesenen, jetzt Kommenden, von Buße, Umkehr und Gericht - der hieß Johannes. "Für wen ihr mich haltet", rief er den ihn Anstaunenden zu, "der bin ich nicht. Aber siehe, er kommt nach mir. Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! wie der Prophet Isaias gesagt hat." Und Gott schlug das bis zum äußersten vollgeschriebene Riesenblatt der alten Weltgeschichte um und sein Finger schrieb darauf zuoberst: Christus.

Darnach erscheint Christus, der in der "Fülle der Zeit" Kommende, als der Ziel- und Standpunkt der Zeit und aller Geschichte; und wie der Gruß Gottes selber tönte das Wort des Johannes durch die erwartungsmüde Welt. In der Fülle der Zeiten kam Der, in welchem der Gottheit Fülle leibhaftig wohnte (Gal. 4,4, Kol. 2,9.), und die Fülle der Gnaden, ein Segensstrom, ergoß sich, hervorgerufen und geleitet von seiner Hand, über die schmachtende Erde; und wir zählen mit Recht unsere Jahre von diesem größten, wichtigsten, einflußreichsten Ereignisse, der höchsten Offenbarung des göttlichen Erbarmens. Christus ist der Mittelpunkt der Menschheit, die Lichtquelle, die nach allen Seiten ihre Strahlen, der Lebensborn, der überallhin seine nie versiegenden Wasser sendet, und die Geschichte der Menschheit wird einzig von diesem ihrem natürlichen Zentrum aus verstanden:

Nur wer sich in den Mittelpunkt gestellt,
Versteht die alte wie die neue Welt,
Den andern bleibt ihr ew'ger Geist verschlossen.

"Wer an diesen (den Sohn des Vaters) glaubt", ruft Johannes vom ersten Tage des Neuen Bundes an, "der hat das ewige Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen." (Joh. 3,36.)

Wenn wir nun eingangs die Frage stellen: "Was glaubt ihr von Christus?", so denken wir dabei unwillkürlich an Jesu fast beängstigendes Wort - beängstigend für uns, die wir ohne den Glauben an ihn dem Verderben anheimfallen: "Der Menschensohn, wenn er wiederkommt, wird er (wohl noch) Glauben finden auf Erden?" (Luk. 18,8.) Den wahren Glauben Christi, den reinen Glauben an Christus, den Gottmenschen, den Heiland, den Richter? Und wir schließen uns desto enger an die Kirche an, aus welcher der wahre Glaube, der reine Glaube an Christus nie entwichen ist und nicht entweichen kann, und sonnen uns in dem himmmlischen Lichte der Wahrheit, das sie allein uns zu bieten vermag. Und die Beantwortung der Frage Christi: Was glaubt ihr von Christus? ist das Fundament, auf dem wir stehen und bauen. Vom Kindlein Jesus schon weissagte Simeon (Luk. 2,54.): "Siehe, dieser ist gesetzt als ein Zeichen, dem man widersprechen wird, als ein Stein der Prüfung, des Anstoßes, des Verderbens für viele." Und Johannes' Wort: "In eurer Mitte steht der, den ihr nicht kennt" (Joh. 1,26.) - es war nicht bloß ein Vorwurf für die Priester, Leviten und Pharisäer aus Jerusalem, sondern zugleich Prophezie und Tadel und Verurteilung für nicht wenige von Priestern, Theologen, Bischöfen und Erzbischöfen, Universtitätsprofessoren und andere Gelehrten und Ungelehrten vom ersten bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert, und bleibt es auch für die Christus-Verkenner der Zukunft, bis er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, seine Anbeter und seine Verunehrer.

"Wo der Leichnam ist, da versammeln sich die Geier" - "und selig ist, wer sich an mir nicht ärgert." (Matth. 11,6; 24,28.)

In der Tat gibt es keine kirchliche Lehrstreitigkeit, die in ihren tiefsten Wurzeln und letzten Ausgangspunkten sich nicht auf eine Verschiedenheit der Grundvorstellung von der Person Jesu Christi zurückführen ließe. Vielgestaltig ist der Irrtum - aber Irrtum bleibt er immer; viele Gestalten und Formen nimmt "der Vater der Lüge" (Joh. 8,44.) an - aber er bleibt immer der Teufel. Schon zu Lebzeiten der heiligen Apostel Petrus, Paulus, Judas und Johannes treffen wir Irrlehrer und Sekten, "welche sich aufgelehnt haben wider das Licht, welche teils die Gottheit, teils die wirkliche Menschheit Jesu Christi und infolgedessen meistens alle Sittengesetze aufhoben, wie sie die erste Christenheit beunruhigten und verwirrten - "Hunde, Verführer und Antichristen." (Joh. 24,13; Phil. 3,2; 2. Joh. T.)

Da leugnete Simon Magus aus Samaria das wirkliche Leiden und Sterben des wahren Mensch gewordenen Jesus und dessen wirkliche Gegenwart im allerheiligsten Sakramente; - da behauptete der ephesinische Judenchrist Cerinthus die Notwendigkeit einer Verbindung der jüdischen Beschneidung mit der christlichen Taufe und die Geburt Jesu nach Menschenweise; erst bei der Taufe im Jordan sei der Christus in diesen Menschen Jesus in Taubengestalt herabgekommen, bei der Gefangennehmung am Ölberg aber wieder von ihm gewichen und unsterblich geblieben, während der Mensch Jesus gekreuzigt ward und wieder auferstand; Maria sei nicht eines Gottes Mutter, ihre beständige Jungfrauschaft eine Fabel. Gegen Cerinthus schrieb der Christusliebling Johannes sein erhabenes Evangelium und die apostolische Sentenz: "Jeder Geist, der Jesus Christum aufhebt und nicht bekennt, daß Er im Fleische gekommen, ist nicht aus Gott; und dieser ist der Widerchrist, und er ist jetzt schon in der Welt." (Joh. 4,3) - Da suchte der aszetische Ebion aus Cocheba im Ostjordanland Judentum und Christentum ohne den vermittelnden Eckstein Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, zu verbinden, ließ Christus nur infolge seines Tugendwandels alle sonstigen Menschen übertreffen - wie in unseren Tagen Strauß, Renan und Schenkel - verwarf das Gesäuerte beim Meßopfer und leugnete den Unterschied der Personen in der heiligsten Dreifaltigkeit; während viele seiner Jünger ins Gegenteil gingen und nur an den Gott-Christus glaubten, der nicht im Fleische erschienen sei; - da vereinigte ferner der als Jüngling zum Mosaismus übergetretene Palästinenser Elxai als "Wiederhersteller des Alten" die von Cerinth und Ebion gepredigten Irrlehren in einer Person; - da verlieh der ausschweifende Ägypter Basilides dem Erlöser einen bloßen Scheinköper, ließ Simon von Cyrene statt Christus gekreuzigt werden und verwarf alle heiligen Schriften; - da schrieb der sittenlose Alexandriner Karpokrates, der unheilvolle Stifter der berüchtigten Gnostiker, den "Stammbaum Mariens", worin er die Mutter des Herrn vom Stamme Levi, nicht aber vom Stamme Juda entsprossen lehrt - eine Behauptung, die später dem abtrünnigen Kaiser Julian und dem Manichäer Faustus gefallen hat; Christus läßt er nicht Gott, sondern nur einen höhern Äon (Mittelwesen zwischen Gott und Welt, Genius, Halbgott) sein; Gott aber macht er zum Urheber jeglicher Sünde, doch sei "auch ins Übermaß sündigen, nicht nur kein Unrecht, sondern strengste Pflicht".
Valentinus (gestorben 165), der nichtswürdige Verfasser des mit Albernheiten angefüllten Buches "Von der Kindheit des Erlösers", leugnete die wirkliche Menschheit Jesu Christi, indem er dessen Leib direkt vom Himmel steigen ließ, folglich das wahre Sterben und Auferstehen des Gottmenschen; die Ophiten (Schlangenchristen) hielten Christus für die Schlange, welche Eva zur Sünde verlockt hat; den Sethiten galt dieser dritte Sohn des ersten Menschenpaares, den Melchisedechianern der "König von Salem" als identisch mit Jesus von Nazareth.

Der unkeusche Bischofssohn Marcion von Sinope (gestorben 168) verlieh Christus einen Scheinleib, fand es märchenhaft, daß ein Gott geboren worden, der erst ein Kind, dann ein Knabe, endlich ein Jüngling und Mann gewesen sei, und verwarf das Evangelium des hl. Matthäus und jede Schrift, aus der Christi Menschheit bewiesen werden konnte. Das ganze Alte Testament haßte er und nachdem unter Tiberius auf Erden erschienenen Christus verhieß er einen weit herrlicheren in bäldester Zukunft. Der heilige Polykarpus verweigergte dem Sittenstrenge heuchelnden Marcion den Gruß auf der Straße und nannte ihn "des Satans Erstgeborenen".

Apelles hielt Jesus Christus für "eine aus den feinsten Elemententeilen zusammengesetzte sichtbare Erscheinung, die nach dem Tode in den reinsten Geist sich auflöste und in den Himmel stieg; Montanus der Phrygier und hochangesehene Aszet (gestorben 180) gab sich für den vom Heiland verheißenen Heiligen Geist (Paracletus) aus. Ähnliches behauptete Manes aus Persien (gestorben 276) von sich, der da lehrte, der Heilige Geist sei zwar über die Apostel gekommen, der "Tröster" aber, den Christus versprochen, sei in ihm erschienen. Christus, Buddha, Zoroaster und die Sonne seien identisch; Gottes Sohn, der in der Sonne wohne, sei Mensch geworden, habe auf Satans Anstiften, aber nur in einem Scheinkörper, gelitten und sei wieder in die Sonne zurückgekehrt.

Den Elcesiten war Christus purer Mensch, der in Adam und allen Propheten durch Mitwirkung seiner Schwester, des Heiligen Geistes, sich verkörpert hat. Noëtus aus Ephesus, Praxeas zu Rom und Sabellius in Afrika hielten Vater, Sohn und Geist für nur eine göttliche Person; Paul von Samosata leugnete die Einigung des Wortes mit der menschlichen Natur in Christus, dem er nur seiner guten Taten halber den Titel "Gottessohn" zuerkannte: Photinus von Sirmium lehrte, der Mensch Jesus sei erst bei seiner Taufe im Jordan zum Christus geworden; der Mesopotamier Audeus behauptete nicht nur, daß Gott einen Körper habe, sondern auch, daß Christus sündigen konnte.

Die Origenisten ließen Christi Seele von Anfang an vor jeder irdischen Kreatur mit allen andern überirdischen Geschöpfen zugleich erschaffen und vom Worte Gottes angenommen werden; erst in der Fülle der Zeit behufs Erlösung der Menschen hat sich dann diese Seele mit einem Körper überkleidet. Helvidius leugnete die Jungfräulichkeit der Gottesmutter nach Jesu Geburt, Themistius die Allwissenheit des Gottmenschen, die Christolyten endlich den Aufstieg der Menschheit Christi zugleich mit der Gottheit bei der Himmelfahrt des Erlösers, während die Paulicianer dem Kreuze des Herrn jegliche Ehrfurchtsbezeigung verweigerten.

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