Das Übel, das wie ein schleichendes Gift die Einzelnen, die Völker und die Nationen heute befällt und viele verwirrt, ist letztlich und gleichsam wurzelhaft das Nichtkennen der Wahrheit, das manchmal nicht nur eine einfache Unwissenheit, sondern auch eine Verachtung der Wahrheit und eine fahrlässige Abkehr von ihr miteinschließt. Irrtümer aller Art dringen so in das Denken und Fühlen der Menschen und sogar in die Lebensadern der Gesellschaft ein und bringen zum großen Schaden der Einzelnen wie der Gesellschaft alles in Unordnung.
Nun hat uns aber Gott mit einer Vernunft begabt, die imstande ist, die natürliche Wahrheit zu erkennen. Folgen wir dieser Vernunft, dann folgen wir Gott selbst; denn er ist der Urheber, Lenker und Gesetzgeber unseres Lebens. Folgen wir ihr aber nicht aus Unverstand, Gleichgültigkeit oder gar aus Bosheit, dann wenden wir uns zugleich vom höchsten Gut selbst und von der Norm einer rechten Lebensführung ab.
Freilich, wenn wir auch, wie gesagt, die natürlichen Wahrheiten mit unserem Verstand erfassen können, so ist dies doch — zumal in Fragen der Religion und des Sittengesetzes — kein leichtes Bemühen für alle Menschen und oft mischen sich Irrtümer bei. Außerdem können wir Wahrheiten, die über das Vermögen der Natur und die Fassungskraft der Vernunft hinausgehen, ohne göttliche Erleuchtung und Hilfe überhaupt nicht erfassen. Darum hat sich Gottes Wort, das «in unzugänglichem Licht wohnt» (1. Tim. 6,16), in seiner unendlichen Liebe des Schicksals der Menschen erbarmt, ist «Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt» (Joh. 1, 14), damit «jeder Mensch, der in diese Welt kommt» (Joh. 1, 9) erleuchtet werde, damit alle zur vollen und ganzen Wahrheit und darüber hinaus zur Tugend und zur ewigen Glückseligkeit geführt werden. Das aber verpflichtet nun alle Menschen, die Lehre des Evangeliums freudig aufzunehmen, und wer sie verwirft, stellt damit auch die Grundlagen der Wahrheit, der Rechtschaffenheit und der Kultur in Frage.
Die ewigen Zweifler
Wie man sieht, handelt es sich um eine sehr ernste Frage, mit der unser ewiges Heil eng verknüpft ist.
Leute, die «immerzu lernen wollen», wie der Völkerapostel sagt, «ohne fähig zu sein, zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen» (2. Tim. 3, 7), die ernstlich behaupten, eine bestimmte und sichere Wahrheit könne es für die Erkenntnis des Menschen nicht geben, die die von Gott geoffenbarten und für unser ewiges Heil notwendigen Wahrheiten verschmähen, weichen ohne Zweifel von der Lehre Christi und der Ansicht des Völkerapostels bedenklich ab. Dieser sagt nämlich: «... laßt uns alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen ... Denn wir sollen nicht mehr Unmündige sein, ein Spiel der Wellen und hin und her getrieben von jedem Windhauch der Lehre, die mit menschlicher Laune und List auf täuschende Verführung ausgeht. Nein, die Wahrheit sollen wir leben durch Liebe, um in jeder Hinsicht in ihn, Christus, der das Haupt ist, hineinzuwachsen. Von ihm her wird ja der ganze Leib zusammengefügt und zu fester Einigkeit verbunden durch jedes Gelenk, das dem Ganzen dient, gemäß der Kraft, die jedem einzelnen Teil zugemessen ist; und so wirkt er das Wachstum des Leibes zu seinem Aufbau in der Liebe» (Eph. 4, 13-16).
Lüge und Wahrheit in der Presse
Leute aber, die planmäßig oder aufs Geratewohl die erkannte Wahrheit bekämpfen, Leute, die im Reden, Schreiben und Handeln sich der Lüge als Waffe bedienen, um die Gunst der ungebildeten Masse zu gewinnen und die unerfahrene, noch wachsweiche Jugend nach ihrem Sinn zu bilden und zu formen, diese Leute mißbrauchen offensichtlich die Unkenntnis und die Unschuld ihrer Mitmenschen und üben ein ganz schändliches Gewerbe aus!
Hier müssen wir mit besonderem Nachdruck eine Aufmunterung an alle jene richten, die durch die Fülle der heute so zahlreichen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen auf das Wissen und die Erziehung des Volkes und zumal der Jugend, auf ihre Meinungsbildung und ihr sittliches Verhalten einen entscheidenden Einfluß ausüben: Achten Sie darauf, die Wahrheit mit Sorgfalt, Umsicht und Klugheit darzulegen. Ihr Beruf verpflichtet Sie im Gewissen, keine Lügen, keine halben Wahrheiten, keinen Schund und Schmutz zu verbreiten, sondern nur das Wahre, und zwar vor allem das, was zum rechten Tun und zur Tugend eine Hilfe bedeutet.
Zu Unserem größten Bedauern müssen Wir mit Unserem Vorgänger seligen Angedenkens Leo XIII. feststellen: «Frech geht die Lüge um . . in mühevollen Wälzern und schmächtigen Bändchen, in keck umherfliegenden Zeitungen und im aufreizenden Zauber des Theaters» (Brief: Saepenumero considerantes; A. L. vol. III, 1883, p. 262). Auch Wir müssen feststellen, «daß es Bücher und Zeitschriften gibt, die nur dazu gedruckt werden, um die Tugend lächerlich und das Laster angängig zu machen» (Brief : Exeunte iam anno; A. L. vol. III, 1888, p. 396).
... im Radio, Film und Fernsehen
Dazu kommen heute, ehrwürdige Brüder und liebe Söhne, die Darbietungen des Rundfunks, des Kinos und der Television. Die letzten kann sogar jeder mühelos bei sich zu Hause empfangen. Von allen können Anregungen und Antriebe zum Guten und Ehrbaren, ja zur christlichen Tugend ausgehen. Nicht selten aber werden sie leider auch zur Quelle und zum Anreiz verdorbener Sitten, eines ehrlosen Lebens, trügerischer Irrtümer und schlüpfriger Laster, zumal für die Jugend. Um den Einfluß dieses täglich weiter um sich greifenden Übels einzudämmen, müssen den verderblichen Waffen die Waffen der Wahrheit und des Guten nach Kräften und mit Umsicht entgegengesetzt werden: der schlechten und trügerischen Presse muß man mit einer guten und aufrichtigen begegnen; Hörsendungen des Rundfunks und Vorführungen des Kinos und Fernsehens, die zu Irrtum und Laster verführen, sind andere Darbietungen entgegenzustellen, die der Wahrheit dienen und die Reinheit der Sitten verteidigen. Auf diese Weise sollen die neuen Techniken, die sich so schädlich auswirken können, umgestaltet werden zu Mitteln, die neben ehrbarer Unterhaltung dem Menschen zum Heil und zur Wohltat gereichen. Von dort sollen die Heilmittel erfließen, von wo auch oft das schädliche Gift ausging.
Die religiös Gleichgültigen
Endlich gibt es Leute, die zwar nicht planmäßig die Wahrheit ausdrücklich bekämpfen, sich ihr gegenüber aber so nachlässig und unbekümmert verhalten, als hätte uns Gott den Verstand nicht zum Suchen und Finden der Wahrheit gegeben. Diese verkehrte Lebenshaltung führt auf abschüssiger Bahn zu der ganz sinnlosen Behauptung: alle Religionen seien — ohne daß man wahr und falsch unterscheiden müsse — gleichviel wert. «Diese Ansicht bereitet», um die Worte Leos XIII. zu gebrauchen, «allen Religionen den Untergang, besonders aber der katholischen, die unter allen die einzig wahre ist und die man sehr zu Unrecht mit anderen gleichsetzen würde» (Rundschreiben: Humanum genus; A. L. vol. IV, 1884, p. 53). Hält man Gegensätze und Widersprüche für belanglos, so führt das außerdem zu dem tragischen Resultat, daß man überhaupt keine Religion billigt, überhaupt keine ausübt. Wie könnte Gott, der die Wahrheit ist, die Sorglosigkeit, Nachlässigkeit und geistige Trägheit jener Menschen billigen und hinnehmen, die über Fragen, von denen unser ewiges Heil abhängt, sich kein Gewissen machen, die nichts wissen wollen vom Suchen und Erringen der heilsnotwendigen Wahrheiten, nichts von der Verehrung, die sie Gott allein schulden?
Auf das Erlernen und die Förderung der menschlichen Wissenschaften verwendet man heute viel Mühe und Fleiß, und unser Jahrhundert ist mit Recht stolz auf den bewundernswerten Fortschritt, den wir auf dem Gebiete der Forschung gemacht haben. Warum eigentlich verwenden wir nicht einen gleichen, ja noch größeren rastlosen, rührigen Eifer und Fleiß auf die Erwerbung zuverlässiger und sicherer Erkenntnisse, die nicht diesen irdischen und hinfälligen, sondern dem himmlischen Leben dienen, das nicht vergeht? Erst wenn wir zu jener Wahrheit, die aus dem Evangelium kommt und die praktisch gelebt werden muß, vorgedrungen sind, erst dann und dann allein werden wir zur Ruhe kommen in Frieden und Freude; in einer Freude, die alle Freuden unendlich übersteigt, die man über Ergebnisse der Forschung und über die großartigen, heute tagtäglich bis in den Himmel gepriesenen Erfindungen, die uns jetzt zur Verfügung stehen, empfinden kann.
Papst Johannes XXIII. in seiner 1. Enzyklika "Ad Petri Cathedram", 29. Juni 1959
Zuerst veröffentlicht in «DAS ZEICHEN MARIENS», 19. Jahrgang, Nr. 4/5, August/September 1985, Seiten 6224-6225
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen